Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Demütigung, die Genitalien seines Vaters zu sehen, doch für Shep war auch das nur wieder eine Übung darin, sich mit der Realität abzufinden. Also hatten sie beide einen Penis, na und?
Natürlich mussten auf dem letzten spätabendlichen Abschnitt durch das nördliche Connecticut viele Tankstellen und Raststätten geschlossen haben. Sein Vater schaffte es nicht. Ein stechender brauner Geruch breitete sich im Auto aus, und Gabe begann zu weinen.
»Papa«, sagte Shep. »Seit Monaten stecke ich bis zu den Ellenbogen in Scheiße, und das meine ich nicht im übertragenen Sinne. Ich bin mit sämtlichen Ausflüssen und Auswürfen meiner Frau aufs Engste vertraut, und ich liebe sie noch immer. Jetzt werde ich dich pflegen, und statt irgendeinen wildfremden Menschen anzuheuern, um dir den Hintern abzuwischen, wisch ich ihn dir selbst ab. Du musst dich deswegen nicht schämen. Die Einzigen, die sich schämen sollten, sind Beryl und ich, weil wir das Abwischen bisher immer anderen überlassen haben.«
Um ein Uhr morgens waren sie zurück in Elmsford. Nach der fünfzehnstündigen Autofahrt hätte Shep todmüde sein müssen. Aber seitdem Pemba vom traurigen Luftschloss zum festen Reiseziel wiederauferstanden war, befand er sich in einem eigentümlichen Rauschzustand. Sein Gang hatte noch immer etwas Federndes, während er seinen Vater sauber machte und im Fernsehzimmer auf die Couch bettete, unmittelbar neben der unteren Toilette.
AM SONNTAGMORGEN, ALS Glynis noch schlief, nahm Shep die Sache mit Zach in Angriff. Nachdem sein Sohn ihm widerwillig den Zutritt in sein Heiligtum gewährt hatte, setzte er sich schwungvoll auf das Bett des Jungen und verkündete: »Wir ziehen nach Afrika.«
Zach drehte sich von seinem Computerbildschirm weg und sah seinen Vater mit nachgiebig ausdrucksloser Miene an. Er glaubte genauso wenig an das durchgedrehte Jenseits des guten Mannes wie Beryl. »Ach echt. Und wann.«
»Ich muss noch mal auf die Website von British Airways, aber hoffentlich noch vor Ende dieser Woche.«
Zach nahm seinen Vater genau in Augenschein. Shep blickte freundlich zurück und stellte mit Genugtuung fest, dass die Gesichtszüge seines Sohnes wie erwartet an Kontur gewannen, und mit sechzehn war der junge Mann fast gut aussehend. »Ohne Scheiß jetzt.«
»Ja. Du solltest also anfangen, ein paar Sachen zu packen. Leichtes Gepäck. Selbst wenn wir auf Pemba nicht alles bekommen, was wir brauchen, gibt es auf Sansibar wohl alles, und wir sind nur eine halbe Flugstunde von Stone Town entfernt.«
»Und für wie lange ›ziehen wir nach Afrika‹?«
»Ich, für immer. Du? Das ist deine Entscheidung. Sobald du achtzehn bist, steht’s dir frei. Auf deiner neuen Schule gefällt’s dir doch sowieso nicht.«
»Ich dachte immer …« Zach leckte sich die Lippen. »Ich dachte immer, dass die Kinder plötzlich irgendwelche verrückten Ideen haben. Und dass es dann die Eltern sind, die auf sie einreden und sie zwingen, na ja, realistisch zu sein.«
»Ich bin jetzt neunundvierzig Jahre lang realistisch gewesen, Kumpel. Und wenn man etwas in die Realität umsetzt, dann ist das realistisch. Übrigens, auf Pemba gibt’s auch Internet. Ich wusste, das würde dich überzeugen.«
»Und wenn ich nicht will?«
»Mh … du könntest bei deiner Tante Beryl wohnen, in Opas Haus in Berlin – wobei das ein ziemliches Nest ist, wie du weißt. Du wärst also immer noch am Arsch der Welt, nur ohne Kokospalmen und Korallenriffe. Es wird auch ziemlich kalt da oben. Und in Opas Haus wird’s demnächst noch viel kälter werden, wenn ich mich nicht täusche. Oder aber du ziehst zu deiner Tante Deb, wobei du dich jetzt schon darauf einstellen kannst, dass du da jede Menge Babysitting machen und zumindest so tun musst, als würdest du dich zum wiedergeborenen Christentum bekehren lassen. Tante Ruby wäre auch noch da, aber sie ist Workaholic und hat nicht mal Zeit für einen Freund, geschweige denn für einen Neffen bei sich zu Hause. Deine Oma in Tuscon würde dich mit Kusshand nehmen, allerdings hast du dich immer beschwert, dass sie dich wie ein sechsjähriges Kind behandelt. Sie ist dreiundsiebzig. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie’s sich jetzt noch abgewöhnt.«
»Du hast echt vor, mich bei der Verwandtschaft zu parken?«
»Nein, ich habe echt vor, mit dir an einen faszinierenden Flecken Erde zu fahren, wo du lernen kannst, von einem mtumbwi aus, also von einem Holzkanu aus, Fische zu fangen. Zu tauchen. Suaheli zu sprechen. Wo
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