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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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Skalpellen und künstlichen Magenausgängen und abscheulichen Medikamenten, die da kommen würden, eine Posse, eine makabre Schmierenkomödie war. So hilfreich und beruhigend dieser Doktor sich gab, so deutlich hatte Shep das Gefühl, einfach nur bei Laune gehalten zu werden. Dann wiederum fühlte er sich vereinnahmt und zur Komplizenschaft mit dem Doktor genötigt, um gemeinsam seine Frau bei Laune zu halten. Glynis war die Angeschmierte bei dieser Komödie. Und es war eine schlechte Komödie, eine verabscheuungswürdige Komödie, für die sie mit jeder Faser ihres Daseins bezahlen würde. Er wollte keinen Anteil daran haben. Er würde Anteil daran haben müssen.
    »Aber bevor wir den nächsten Schritt tun …«, fuhr der Onkologe fort. »Da es sich um eine so seltene Krebsform handelt, habe ich selbst mit der Krankheit nur begrenzte Erfahrung. Hier am Phelps Memorial haben wir in den letzten zwanzig Jahren nur zwei vergleichbare Fälle gehabt. Aber an der Columbia-Presbyterian-Klinik gibt es einen Spezialisten für innere Medizin, der im Tandem mit einem hervorragenden Chirurgen arbeitet. Beide haben weitreichende klinische Erfahrung mit dem Mesotheliom, und sie haben einen hervorragenden Ruf.«
    »Sie wollen uns wohl loswerden«, sagte Shep mit angespanntem Lächeln.
    Dr. Knox lächelte zurück. »Das könnte man so sagen. Mesotheliom-Patienten kommen aus der ganzen Welt zu Philip Goldman. Sie haben Glück, bei Ihnen wohnt er praktisch um die Ecke. Ich kann Ihnen gleich sagen, er ist nicht billig. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er nicht zum Vertragsnetzwerk Ihrer Krankenversicherung gehört. Sie müssten sich mit Ihrer Versicherung absprechen, wenn die vollen Kosten für einen Arzt außerhalb des Vertragsnetzwerks übernommen werden sollen, aber Sie haben ja einen triftigen Grund. Und selbst wenn Ihr Träger ablehnt, würde ich Ihnen unbedingt empfehlen, Dr. Goldman zu konsultieren. Ihre Versicherung würde immer noch den Großteil der Kosten übernehmen; ich kenne die Einzelheiten nicht, aber möglicherweise werden Sie einfach einen höheren Prozentsatz bei der Selbstbeteiligung zahlen müssen. Und wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht … Nun, ich vermute, dass Geld da keine Rolle spielt.«
    »Natürlich nicht«, hörte Shep sich sagen. »Wir werden zahlen, was immer nötig ist, damit Glynis wieder gesund wird.« In Anbetracht des Taschengeldes, das seine Frau bei ihrem Chocolatier verdiente, war das wir eher eine Farce. Dass das wieder gesund werden ebenfalls die Kriterien einer Farce erfüllte, wollte Shep noch nicht in Betracht ziehen.
    Während Knox ihnen die Kontaktdaten dieses ungemein kostspieligen Schamanen aufschrieb, dachte Shep dennoch über die Summe nach, die nun offiziell »keine Rolle spielte«. Natürlich hatte sie an sich keinen Wert. Geld war ein Mittel. Ein Mittel zu einem Zweck aber, von dem man nicht einfach so behaupten konnte, er »spiele keine Rolle«. Essen, ein Dach über dem Kopf, Kleidung. Sicherheit, sofern möglich, und damit auch die Aussicht auf Rettung. Leistungsfähigkeit, Macht, Einfluss. Leichtigkeit, Freiheit, freie Auswahl. Großzügigkeit, Nächstenliebe; wenn nicht gar Liebe überhaupt, für seine Kinder, seine Frau, seine Schwester und seinen Vater, fühlbare Liebe. Bildung; Weisheit vielleicht und deren Voraussetzung: akkurate Informationen. Wenn nicht sogar Glück, Luxus, der im Notfall auch für Glück gehalten werden konnte. Flugtickets – Erfahrung, Schönheit, Flucht. Aber auch das nackte Überleben. Ihr vermeintlicher Erlöser an der Columbia-Presbyterian; sie würden angesichts der virulenten Krebserkrankung seinen Anweisungen folgen und ihre gesamte Willenskraft mobilisieren; und nicht nur das: sie würden sich das Leben selbst erkaufen. Sie würden sich Glynis’ Leben erkaufen, jeden Tag aufs Neue für teures Geld, und am Ende würde sich jeder einzelne Tag mit einem Preisschild versehen lassen.
    »Haben Sie beide bis hierhin irgendwelche Fragen?«, fragte Dr. Knox.
    »Die Nebenwirkungen …«, sagte Glynis. Natürlich hatten die Wirkungen nichts Nebensächliches. Es waren Wirkungen – groß, grausam und alles andere als untergeordnet.
    »Jedes Medikament und jeder Patient ist anders. Man wird Sie auf alles vorbereiten, womit Sie rechnen müssen, das verspreche ich Ihnen. Lassen Sie uns erst die Operation hinter uns bringen. Nicht vorpreschen.«
    In der anschließenden Stille sah Shep erst hinüber zu seiner Frau, dann zum Onkologen, und Panik

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