Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Rinderbraten ab und verschwand umstandslos in seinem Zimmer. Erschöpft und ein Unbehagen ausstrahlend, das sie nicht in Worte fassen wollte, saß Glynis im kleinen Zimmer vor dem Fernseher. Jedes Mal, wenn er nach ihr sah, erinnerte wieder ein Werbespot der Pharmaindustrie an die vielen anderen Leiden, die einen heimzusuchen drohten. Wenn man nicht sofort wegen der Krankheit draufging, so schien es, dann später wegen der Behandlung.
… NICHT FÜR ALLE Patienten gleichermaßen geeignet. Informieren Sie Ihren Arzt im Falle einer allergischen Reaktion, bei der Schwellungen des Gesichts, des Mundbereichs oder der Kehle auftreten sowie bei Atembeschwerden, Ausschlag oder Gürtelrose. Zu den möglichen Nebeneffekten zählen Infektionen der oberen Atemwege, erkältungsähnliche Atembeschwerden, Hals- und Kopfschmerzen … können zu gravierenden Magenbeschwerden und inneren Blutungen führen. Einige Patienten klagen über Übelkeit und Erbrechen, Durchfall, blaue Flecken, Schlafstörungen. Einige Patienten klagen über Muskelkrämpfe, Appetitlosigkeit, Müdigkeit … Informieren Sie Ihren Arzt, wenn Sie unter Fieber oder unerklärlichen Schwächeanfällen oder Verwirrungen leiden … größere Gefahr von Lungenentzündung … kann die Gefahr von Osteoporose und Augenleiden erhöhen … kann die Gefahr von Herzinfarkt oder Schlaganfall erhöhen und zum Tode führen.
BEGLEITET VON GITARRENGEKLIMPER und munteren Flötenkadenzen, wie er sie aus der Kindheit von den alternativen Gottesdiensten seines Vaters kannte, wurden sämtliche Warnungen mit trällernder, grenzdebiler Liebenswürdigkeit vorgetragen – es war derselbe Tonfall, in dem man kleinen Kindern Gutenachtgeschichten über neckische Bären und allzu neugierige Kätzchen erzählt. Unterdessen folgte auf eine Werbung für Pillen gegen hohen Blutdruck eine Werbung für Kartoffelchips mit Salz- und Essiggeschmack, auf eine Werbung für Pillen gegen erhöhten Cholesterinspiegel eine Werbung für Pizza im XL-Format, auf eine Werbung für Medikamente gegen Sodbrennen eine Werbung für die Schweinerippchen einer Restaurantkette. Da er nie auf den Gedanken gekommen wäre, eine Verschwörung hinter dieser Anordnung zu vermuten, nahm er lediglich eine eigentümliche Ausgewogenheit wahr.
Immer wieder versuchte er sich zu trösten. Immer wieder kämpfte er gegen den Impuls an, seiner Frau zu versichern, dass sie mit Bravour durch die Operation kommen werde. Doch von dieser Pseudohellseherei abgesehen, konnte er kaum mehr tun, als Glynis ein weiteres Glas Apfelsaft zu bringen. Das wortreiche Essen vom Vorabend hatte jetzt etwas Unwirkliches. Shep und seine Frau hatten den Tag über kaum ein Wort gewechselt. Lediglich seine warme Hand in ihrem Nacken schien etwas in ihr auszulösen. Dies war eine Zeit des Körpers. Kommunizieren hieß, mit dem Körper zu kommunizeren.
Er wollte ihr nicht sagen, was er dachte. Seine Gedanken waren selbstsüchtig. Es gab zu viel Zeit. Zu viel leeren Raum und erdrückende Stille. Er musste sich unwillkürlich fragen, ob er eine Aussicht hatte, egal wie klein, irgendetwas, auf das er sich freuen konnte.
Er hasste seine Arbeit. Er hasste den Umstand, dass er seine Arbeit hasste; die Firma, die er selbst in die Welt gesetzt hatte, sie zu verabscheuen erschien ihm wie elterlicher Verrat. Er fürchtete das Älterwerden seines Sohnes fast so sehr wie Zach selbst – wobei das alles war, was der Junge in letzter Zeit zu tun schien, er wurde einfach nur älter, nicht klüger oder vernünftiger, nicht entschlossener oder selbstsicherer. Er hatte entsetzliche Angst davor, Forge Craft auf Schadensersatz zu verklagen, wo der Schaden ja schon angerichtet war; die Zivilklage würde nur noch mehr Formulare, Prozeduren und Verzögerungen mit sich bringen, vor denen er sich durch Glynis’ medizinische Situation schon jetzt kaum noch retten konnte. Und auf die bevorstehende Ankunft von Glynis’ Familie aus Arizona freute er sich noch weniger. Er würde sich um sie kümmern, während Glynis genas. Er würde für sie kochen, sie ins Krankenhaus fahren, sie beschäftigen. Die kontrollierte Neutralität, die er jahrelang gegenüber seinen Schwiegereltern gepflegt hatte, würde nicht länger aufrechtzuerhalten sein.
Er versuchte konventionell zu denken und so etwas wie der Hochzeit seiner Tochter freudig entgegenzusehen. Aber Amelia war in der Phase, in der sie zweifellos den falschen Jungen heiraten und ihm dann schnell wieder entwachsen würde. Seinen
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