Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Toast auf ihrem Hochzeitsempfang stellte er sich gezwungen vor, während er eigentlich bereits ihrer bevorstehenden Scheidung entgegentrauern würde. Er stellte sich die anderen Gäste vor, die sich zynisch an der Bar bedienten und dabei spekulierten, wie lange diese Ehe wohl halten werde. Nachdem er auf Gruppenfotos posiert hatte, sah er sich schon, wie er die Bilder verschämt in irgendeine untere Schublade schob. Die üppigen Blumen welkten vor seinem inneren Auge im Zeitraffertempo. Sie gingen auf den Brautvater nieder wie die göttliche Vision, dass in wenigen Jahren diese beiden rotwangigen und einander treu ergebenen jungen Leute nicht mal mehr in E-Mail-Kontakt stehen würden.
Dennoch, Amelia wäre der Typ, der eine Hochzeit mit allen Schikanen erwartete. Eine moderne Frau, die im Verlauf ihres Leben ohne Weiteres zwei bis drei Mal ungehemmt »bis dass der Tod uns scheidet« aussprach. Sie war ein echtes Mädchen. Kleidung. Sie übertrat jedes Modegesetz ähnlich zielstrebig, wie ihre Mutter sich darüber erhaben fühlte. Ihre aufgekratzte, hektische Feierwut war ziemlich anstrengend. Es machte ihm Sorgen, dass ihre Absicht, in den Zwanzigern so richtig auf den Putz zu hauen, schon jetzt auf einen entsprechenden Pessimismus angesichts ihres Lebens danach deutete. Ebenso, dass sie ihren eigenen Vater als Inbegriff jener bierernsten Erwachsenenwelt sah, von der sie sich unbedingt fernhalten wollte.
Natürlich war er froh, dass sie ihr Studium beendet hatte. Dennoch fragte er sich, ob der Lehrinhalt ihres 200 000 Dollar teuren BA im Fach »Medienwissenschaften« nicht auch mit einem Gratisprobeabo des Atlantic Monthly und einem Pay-TV-Paket des Kulturkanals für einen Fünfziger im Monat zu haben gewesen wäre. Der zweifelhafte Abschluss seiner Tochter allein hatte sein Erspartes aus der Zeit vor dem Verkauf von Allrounder schon erheblich dezimiert. Shep würde nicht unbedingt erwarten, dass sein Vater ihm die komplette Ausbildung finanzierte, aber heutzutage war genau das gang und gäbe; ein Kind hatte das Recht auf eine Universitätsausbildung. Also hätte er sich über die Kosten eigentlich nicht ärgern dürfen, und er ärgerte sich nicht. Doch nach Jahrzehnten der einlagigen Klopapier- und Putenburger-Knauserei nun für seine Sparsamkeit auch noch bestraft zu werden war gelinde gesagt – beunruhigend.
Natürlich sprach er nicht laut aus, dass er Amelias Kleidungsstil – die knappen bauchfreien Tops, das glitzernde Dekolleté – weniger gewagt als vulgär fand. Sie versuchte um jeden Preis als Frau aufzutreten, mit dem Ergebnis, dass sie wie ein Kind wirkte. Folglich sah er die Vision ihrer Hochzeit, wie sie sich mit ihrer klassisch eleganten Mutter in die Haare geriet, die –
Die nicht mehr da sein würde.
Was Glynis anbetraf, hatte er nichts, worauf er sich freuen konnte. Nichts. Man konnte Shep Knacker kaum als penetrant sonniges Gemüt bezeichnen, aber trotz allem war er ein Optimist. Welchem Ereignis ein Optimist allerdings ohne die geringste glaubhafte freudige Aussicht optimistisch entgegensehen sollte, war ihm unklar.
Am Spätnachmittag rief Amelia an. Er war überrascht. So demonstrativ erschüttert, wie sie die Nachricht zu Herzen genommen hatte, hätte sie eigentlich vor dem Eingriff noch mal vorbeikommen müssen. Ihr Vorwand – dass sie für die nächste Ausgabe des Kunstjournals, dessen Mitherausgeberin sie war und das weder Geld einspielte noch eine nennenswerte Auflagenzahl erreichte, das ganze Wochenende durcharbeiten müsse – klang willkürlich. Das aufmunternde Gespräch mit ihrer Mutter war kurz.
Shep nahm sich einen zweiten Scampispieß, den er verstohlen auf dem Weg nach oben aß. Er stand vor der Tür seines Sohnes. Es schien inzwischen zu einer radikalen Geste geworden zu sein, einfach über diese Schwelle zu treten. Sein erstes Klopfen war sanft, fast unhörbar ehrerbietig. Er unternahm einen zweiten Versuch, diesmal lauter. Nachdem er offiziell die Tür geöffnet hatte, stand Zach da und blockierte den Eingang, als wollte ihm sein Vater etwas verkaufen.
»Was dagegen, wenn ich reinkomme?«
Er hatte etwas dagegen. Aber vordergründig war Zach wohlerzogen. Er wich zurück und nahm wieder vor dem Computer Platz. Federnd setzte sich Shep auf die Bettkante, er kam sich ein wenig idiotisch vor mit seinem Bambusstäbchen in der Hand, und ihm war unbehaglich zumute. Weder waren es die Poster der Bands, von denen er noch nie etwas gehört hatte, noch war es die Unordnung. Es
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