Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
spät, sie aus dem Raum zu scheuchen.
» Ich bin jedenfalls froh, dass sie tot ist«, sagte Flicka.
»Flicka, so etwas darfst du nicht sagen. Niemals. Egal, über wen. Das ist hässlich.«
»Was ist denn daran so hässlich? Terri Schiavo war hirntot und hat keinem was genützt. Sie war total dick und schwabbelte die ganze Zeit nur im Bett rum.«
»Jetzt sollen also die Dicken dran glauben, ja?«
»Ich wette, wenn die Tante gewusst hätte, dass sie sich in so ’ne Tonne verwandeln würde, hätte sie selbst den Stecker gezogen. Die hatte nämlich total Bulimie und so Zeug.«
»Es steht uns nicht zu, ein Urteil darüber zu fällen, was ›gutes‹ und ›schlechtes‹ Leben ist«, sagte Carol, »oder was jemandem lieber wäre, wenn er nicht mehr für sich selbst sprechen kann. Ein Menschenleben ist heilig, Süße. Egal, in welcher Form. Vergiss das nicht.«
»Ich seh überhaupt nicht ein, was so verdammt heilig daran sein soll«, sagte Flicka stur. »Sich den Stress zu machen, weil Terri Schiavo den Löffel abgibt, ist doch genauso, als würde man auf einen Käfer treten und dann heulen.«
Flicka wollte ihre Mutter provozieren, sie aus der Fassung bringen; sie und Shep hätten beide gern gesehen, wie ihre Mutter die Beherrschung verlor.
»Und du?«, fragte Carol mit kalter Stimme. »Stell dir vor, dich würde jemand als Käfer bezeichnen.«
Auch wenn sie wusste, dass es verboten war, setzte Flicka ihre Brille ab und rieb sich das Auge. »Genau so komm ich mir ja wirklich manchmal vor. Ich seh einfach nicht ein, warum das Leben immer so toll sein soll. Ich find’s zum Kotzen. Ich kann’s nicht ausstehen. Geschenkt! Terri Schiavo hat’s gut.«
Wenn Flicka nicht FD gehabt hätte, hätte Carol ihr eine gelangt. Aber Flicka hatte FD.
»Am Leben zu sein ist ziemlich wunderbar im Vergleich zu allem anderen«, sagte Jackson.
»Woher willst du das wissen?«, fragte Flicka. »Für mich hört sich ›alles andere‹ großartig an.«
»Süße, du bist müde«, sagte Carol. »Wir bringen dich ins Bett.«
»Stimmt, ich bin müde«, sagte sie undeutlich. »Ich bin müde und hab’s satt, diesen ganzen Mist. Juckende Augen unter Frischhaltefolie wie das Essen von gestern im Kühlschrank. In der Schule nie mal über den Flur gehen zu können, ohne diese bescheuerte Krankenschwester an der Backe –«
»Hör mal, wir haben lange und hart mit dem Bildungsausschuss verhan –«
»Ich weiß , wir hatten ›großes Glück‹, dass sie die Kosten übernommen haben, aber wie soll ich denn so Leute kennenlernen? Laura ist immer da. Ständig rückt sie mir auf die Pelle. Die hat voll Schiss, dass ich stolpere und an irgendwas ersticke und dass sie dann verklagt wird. Ständig heißt es »Süße« und »mein Täubchen«, ich hasse das. Und ich hab keinen Bock mehr, mit diesem Puls-Oximeter am Finger zu schlafen. Mit diesem bescheuerten Gepiepse. Und mit dem Signal das ganze Haus aufzuwecken. Meistens hab ich eh nichts, und der Apparat ist einfach nur im Arsch.«
»Pass auf«, sagte Jackson. »Wir haben dir doch schon tausendmal gesagt –«
»Ich weiß, dass ihr mir ›gern meinen Beutel füllt‹. Aber ich will nicht, dass ihr das macht! Ich will, dass wenigstens irgendjemand durchschlafen kann. Ihr seid jahrelang mitten in der Nacht nach oben getorkelt, weil das Kind wieder ’ne Dose Compleat braucht. Ich bin wie ’ne alte Schrottkarre, die ständig Öl verliert. Ich hab’s einfach satt. Ist doch alles scheiße.«
»Klar ist es das!«, rief Jackson munter, packte Flicka unter den Armen und riss sie in die Luft; sie war so klein und leicht, dass man schnell vergessen konnte, dass sie sechzehn Jahre alt war. »Aber es ist alles, was wir haben. Du und Heather, ihr seid alles, was wir haben. Also sei lieb und halte durch, ja?«
Manchmal vergaß Flicka selbst, dass sie sechzehn Jahre alt war, und sie schmiegte sich an die Schulter ihres Vaters und ließ sich nach oben tragen.
»ICH HALTE DAS nicht aus, wenn sie so redet«, sagte Carol beim Zubettgehen. »Ich weiß ja, sie meint es nicht so, und es liegt wahrscheinlich am Klonopin und Depakote. Bei beiden steht unter den Nebeneffekten auch ›Selbstmordgedanken‹. Sie weiß also eigentlich gar nicht, was sie da sagt, aber es macht mir trotzdem Angst.«
»Vielleicht weiß sie es genauer, als du denkst.«
»Dann ist sie grausam. Als wäre das nötig, uns die ganze Zeit an ihre Verzweiflung zu erinnern. Sie benutzt ihre Krankheit, um uns zu provozieren.«
»Was denn
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