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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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so, als würde IBM dich fürs Surfen bezahlen!«
    Ihr war nicht nach scherzen zumute. »Das erklärt noch immer nicht, warum ich’s mir nicht mal ansehen darf. So schlimm kann dieser Ausschlag doch gar nicht sein. Und wenn er so schlimm ist, dann muss ich ihn wirklich sehen. Dieser Teil deines Körpers gehört teilweise auch mir.«
    »Ein Mann hat nun mal seinen Stolz.« Jackson schlüpfte aus seiner Hose, wobei er darauf achtete, die Boxershorts nicht mit auszuziehen. Sie hatten mehr als genug Waschgänge hinter sich, und der Gummizug war ausgeleiert. »Die Salbe scheint zu wirken, aber sie braucht länger, als ich gedacht hätte.«
    »Welche Salbe?«
    »Na, die Salbe! Großer Gott, wieso werde ich hier ins Verhör genommen, wenn ich die ganze Zeit nur an dein Wohl denke?« Da er Angriff für die beste Verteidigung hielt – ihrer Verwirrung also am besten mit Zorn zu begegnen war –, warf Jackson demonstrativ die Arme in die Luft. »Denkst du, ich schlafe gern in Unterwäsche neben deinem nackten Körper? Denkst du, ich will auf Sex verzichten? Deine Gesundheit liegt mir am Herzen, mehr nicht, und übrigens ist das auch für mich ein Opfer –«
    Das Herumgefuchtel hatte seinen Preis. Während er mit erhobenen Armen dastand, griff Carol zu und zog ihm die Boxershorts bis unter die Kniekehlen. Sie taumelte zurück, und dann stieß sie einen Schrei aus.
    Sie war nicht zartbesaitet; Carol mit ihrem kühlen Temperament war grundsätzlich sehr viel eher dafür geschaffen, in einem unausgebauten Keller mit einer Taschenlampe nach einem verwesenden Waschbären zu suchen als ihr Mann. Tatsache war, dass er sie wahrscheinlich noch nie hatte schreien hören. Es machte ihm Angst. Ihre entsetzte Miene brachte ihn immerhin dazu, seinen Penis selbst zum ersten Mal mit der nötigen Objektivität in Augenschein zu nehmen.
    Er hatte die falsche Farbe. Er war rot, aber nicht das pralle Kirschrot, das er bisweilen in seiner athletischen Pubertät angenommen hatte. Er hatte den lilafarbenen Grundton von roher Leber.
    Die Nähte über seinen Eiern wuchsen langsam wieder zusammen. Das Fleisch quoll darunter hervor. Glitzernder gelber Eiter sickerte zwischen den Fäden hindurch. Befreit aus den Boxershorts stieg der Geruch noch penetranter herauf. Auch wenn einem die Absonderungen des eigenen Körpers meist weniger schlimm vorkommen, wurde bei diesem Gestank selbst Jackson blümerant. Das Tier aus dem Keller war nach oben gekrochen.
    Aber das Schlimmste war die Form. Es sah nicht aus wie ein Schwanz.
    Der Phalluskult seiner Altersgenossen hatte ihn eigentlich nie überzeugt. Als er etwa acht Jahre alt war, hatte ihn ein kleines Mädchen beim Pinkeln im Gebüsch überrascht und mit ähnlich reflexhaftem Entsetzen aufgeschrien wie Carol gerade. Vermutlich hatte das Mädchen noch nie zuvor einen Penis gesehen, und sie zeigte sich wenig beeindruckt. »Iiih, eklig, was ist das denn?«, hatte sie gerufen und war davongelaufen. Und dann war da dieses andere Erlebnis beim Sportunterricht in der Schule gewesen. Er war gerade erst in die Pubertät gekommen; er kam aus der Dusche, er fror. Dennoch hatte ihn der Spott eines viel größeren Mitschülers tief getroffen: Möhrchen mit zwei Bohnen! Danach hatten ihn die Jungen immer nur den »Vegetarier« genannt, ein Begriff, dessen unschuldiger Klang sie vor Strafe geschützt hatte. Seit Jackson denken konnte, hatte er sein Glied auf subtile Weise als Fremdkörper empfunden, als das andere, das in der Lage war, Verrat an ihm zu begehen. Vielleicht hatte er deswegen damit herumexperimentieren können, weil er das Anhängsel nie wirklich als Teil seines Körpers begriffen hatte.
    Das Experiment war jedenfalls missglückt. Womöglich hatte er nie ganz nachvollziehen können, was Frauen an einem Penis attraktiv fanden – mit seiner schrumpeligen, viel zu dünnen Haut, dem schwabbeligen, schlackernden und haarigen Hodensack und dem kleinen Hütchen am Ende. Im Ruhezustand wirkte er verängstigt und deprimiert; aufrecht wirkte er dreist und doch unsicher, spielte sich auf und versuchte das Augenmerk auf sich zu ziehen. Carols Begeisterung für das Teil war ihm nie ganz geheuer gewesen; aufgrund der ihr eigenen Freundlichkeit war auf ihr Urteil kein Verlass. Doch selbst Carols Nächstenliebe hatte ihre Grenzen – im Moment gab sie sich keinerlei Mühe, ihren Ekel zu verbergen, ähnlich wie seine eigene Unzufriedenheit mit dem normal proportionierten Phallus ihre Grenzen hatte. Mit anderen Worten: Die

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