DIESES MAL IST ALLES ANDERS
den Schuldner günstigeren Bedingungen). Wie wir in Kapitel 4 diskutieren werden, sind Totalausfälle eher selten, auch wenn es Jahrzehnte dauern kann, bis die Gläubiger irgendeine Teilzahlung sehen.
Das »Dieses Mal ist alles anders«-Syndrom
Der Kern des »Dieses Mal ist alles anders«-Syndroms ist einfach. 10 Er besteht in der festen Überzeugung, dass Finanzkrisen nur anderen Menschen in anderen Ländern und zu anderen Zeiten passieren; jetzt, hier und bei uns kann es keine Krise geben. Wir machen alles besser, wir sind klüger, wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Die alten Regeln der Bewertung haben ihre Gültigkeit verloren. Anders als alle früheren Boomphasen, die katastrophalen Zusammenbrüchen vorausgingen (selbst in unserem eigenen Land), gründet der aktuelle Boom auf soliden Grundlagen, strukturellen Reformen, technologischer Innovation und einer vernünftigen Politik. So oder so ähnlich lautet die Geschichte.
In der Einleitung haben wir bereits die theoretische Begründung für dieses Syndrom geliefert und die Verwundbarkeit stark kreditfinanzierter Ökonomien und insbesondere auf ihre Anfälligkeit für Vertrauenskrisen hingewiesen. Historische Beispiele für dieses Syndrom gibt es zuhauf. Es ist nicht unsere Absicht, einen Katalog dieser Beispiele zu erstellen, jedoch finden sich in diesem Buch genügend. In Infobox 1.2 ist zum Beispiel eine Werbeanzeige aus dem Jahr 1929 abgebildet, die den Geist »Dieses Mal ist alles anders« im Vorfeld der Großen Depression widerspiegelt, und in Infobox 6.2 wird der lateinamerikanische Kreditboom der 1820er-Jahre dargestellt, der die erste Schuldenkrise in dieser Region markierte.
Infobox 1.2 Das »Dieses Mal ist alles anders«-Syndrom kurz vor dem Börsenkrach von 1929
BERÜHMTE FEHLEINSCHÄTZUNGEN DER GESCHICHTE
als sich alle Europäer irrten
Datum – 3. Oktober 1719.
Die Szene – Hotel de Nevers, Paris. Ein wilder Mob, der darum kämpft, sich Gehör zu verschaffen. »Fünfzig Anteilscheine!« »Ich nehmen zweihundert!« »Fünfhundert!« »Tausend hier!« »Zehntausend!« Schrille Frauenschreie, raue Männerrufe. Allesamt Spekulanten – bereit, ihr Gold und ihre Juwelen oder die mageren Ersparnisse eines ganzen Lebens in die magischen Anteilscheine von John Laws Mississippi Company einzutauschen. Anteilscheine, die sie über Nacht reich machen sollten.
Doch dann platzte die Blase. Und die Anteilscheine brachen ein. Angesichts ihres vollständigen Ruins versuchten aufgeregte Anteilseigner zu »verkaufen«. Panische Menschenmassen stürmten die Banque Royale. Zwecklos! Die Geldtruhen der Bank waren leer. John Law war auf und davon. Die großartige Mississippi Company und ihr Versprechen von Reichtum waren nur noch eine klägliche Erinnerung.
Heute brauchen Sie nicht mehr raten und hoffen
DIE GESCHICHTE wiederholt sich gelegentlich – doch nicht unweigerlich. Im Jahr 1719 gab es keine Möglichkeit, sich die Fakten über das Mississippi-Vorhaben zu beschaffen. Heute stehen jedem Investor – ob sein Kapital wenige Tausend oder viele Millionen Dollar beträgt – Einrichtungen und Möglichkeiten zur Beschaffung der Fakten zur Verfügung. Fakten, die – soweit menschenmöglich – die Risiken der Spekulation eliminieren und an ihre Stelle solide Anlageprinzipien setzen.
STANDARD STATISTICS
200 VARICK ST.
New York, New York (heute Sitz von Chipotle Mexican Grill)
Saturday Evening Post, 14. September 1929
Anmerkung: Diese Werbeanzeige wurde uns freundlicherweise von Professor Peter Lindert zur Verfügung gestellt.
Nachfolgend eine kurze Liste der Manifestationen dieses Syndroms im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts:
1. Die Entstehung der Schuldenkrisen in den aufstrebenden Ökonomien der 1930er-Jahre
Warum war dieses Mal alles anders?
Das damalige Denken: Es wird nie wieder einen Weltkrieg geben; eine größere politische Stabilität und ein starkes globales Wachstum werden auf unbegrenzte Zeit anhalten; und die Schuldenlast der Entwicklungsländer ist gering.
Die großen Kriegsteilnehmer am Ersten Weltkrieg hatten enorme Schulden aufgehäuft. Regionen wie Lateinamerika und Asien, die den schlimmsten Verheerungen des Krieges entkommen waren, schienen sehr bescheidene und tragfähige Staatsfinanzen zu haben. Die 1920er-Jahre waren eine Dekade des grenzenlosen globalen Optimismus, nicht unähnlich dem Fünfjahresboom, welcher der weltweiten Finanzkrise vorausging, die Mitte 2007 in den USA ihren Anfang nahm. So wie
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