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DIESES MAL IST ALLES ANDERS

DIESES MAL IST ALLES ANDERS

Titel: DIESES MAL IST ALLES ANDERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CARMEN M. REINHART , KENNETH S. ROGOFF
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erscheinen, eine Regierung und ihr Volk als einen einheitlichen Akteur zu betrachten. In viel zu vielen Ländern gibt es immer wieder skrupellose und korrupte Regierungen – die nationale Politik wird von der politischen Elite diktiert und nicht von den Normalbürgern. Tatsächlich ist die politische Spaltung oft ein zentraler Treiber für Zahlungsausfälle souveräner Staaten und für Finanzkrisen. Die Tatsache, dass sich die US-Subprime-Krise im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen von 2008 so verschärfte, ist ein ziemlich typisches Phänomen. Wahlkampfparolen sowie die Ungewissheit nach den Wahlen verstärken routinemäßig die Forderung nach einer kohärenten und glaubwürdigen politischen Antwort. Brasiliens massive Finanzkrise im Jahr 2002 wurde zu einem nicht geringen Teil von den Sorgen der Investoren über eine Machtverschiebung von der politischen Mitte der Regierung des damaligen Präsidenten Fernando Enrique Cardoso zur eher populistischen Politik des damaligen Herausforderers Luiz In á ­cio Lula da Silva angeheizt. Die Ironie ist allerdings, dass sich der linksgerichtete Wahlsieger in seiner makroökonomischen Regierungsführung als konservativer erwies, als die Investoren befürchtet hatten beziehungsweise wie es – vielleicht – einige seiner Unterstützer gehofft hatten.
    Wenn der Leser irgendwelche Zweifel daran hegt, dass die Bereitschaft und nicht die Fähigkeit zur Rückzahlung der Schulden typischerweise die Hauptdeterminante eines Zahlungsausfalls eines souveränen Schuldners ist, dann muss er lediglich einen Blick auf Tabelle 2.2 in Kapitel 2 werfen. Sie zeigt, dass mehr als die Hälfte der Zahlungsausfälle von Ländern mit mittlerem Einkommen bei einem Verschuldungsgrad von unter 60 Prozent des BIP eintreten, wenn – unter normalen Umständen – nur wenige Prozent der Staatseinkünfte an Realzinszahlungen nötig wären, um die Auslandsschuldenquote gemessen am BIP konstant zu halten. Eine Fähigkeit, die üblicherweise als wichtiger Indikator für die Tragfähigkeit der Verschuldung gilt. In Prozent der Exporte oder Staatseinkünfte ausgedrückt, würden die Zahlungen natürlich typischerweise um ein Mehrfaches höher sein, wie wir später deutlich machen werden. Doch selbst dann sollte eine Rückzahlung im Lauf der Zeit in den meisten Fällen möglich sein, mit Ausnahme von Kriegszeiten, insbesondere wenn sich das Land als Ganzes klar und glaubwürdig zu einer schrittweisen Steigerung der Exporte bekannt hat, sodass die Schulden quasi vollständig getilgt werden.
    Die zentrale Bedeutung der Rückzahlungsbereitschaft, und nicht der Rückzahlungsfähigkeit, wird auch klar, wenn man mehrere Hundert Jahre zurückblickt und die Kreditvergabe im 16., 17. und 18. Jahrhundert betrachtet (eine Zeit, die wir als frühe Epoche der Zahlungsausfälle bezeichnen). Damals waren die Hauptkreditnehmer Länder wie Frankreich und Spanien, die große Armeen unterhielten. Ausländische Investoren konnten kaum erwarten, ihr Geld durch Zwangsmaßnahmen zurückzuerhalten. Wie uns Michael Tomz ins Gedächtnis ruft, schritten Supermächte in der Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts regelmäßig ein, um Schuldkontrakte durchzusetzen. 3 England bedrängte und besetzte sogar regelmäßig Länder, die ihre Auslandsschulden nicht zurückzahlten (zum Beispiel marschierte es 1882 in Ägypten und im Anschluss an den Zahlungsausfall der Türkei im Jahr 1876 in Istanbul ein). Dem vergleichbar war die US-»Kanonenboot-Diplomatie« in Venezuela, die Mitte der 1890er-Jahre angewendet wurde, zum Teil von der Sorge motiviert, das Land könne seine Schulden nicht zurückzahlen. Und die Besetzung Haitis durch die USA zu Beginn des Jahres 1915 wurde als notwendige Maßnahme für ein Schuldeninkasso begründet. (Infobox 5.2 in Kapitel 5 erklärt, wie Schuldenprobleme dazu führten, dass der unabhängige Staat Neufundland seine Souveränität einbüßte.)
    Im modernen Zeitalter wirkt die Vorstellung, zu einer Kanonenboot-Diplomatie zu greifen, um eine Schuldenrückzahlung zu erwirken, (in den meisten Fällen) abwegig. Die Kosten-Nutzen-Analyse rät einfach davon ab, dass Regierungen derart große Ausgaben und Risiken eingehen, vor allem, weil die Kreditvergabe typischerweise über Europa, Japan und die USA diversifiziert ist, was den Anreiz für ein einzelnes Land senkt, Militärgewalt anzuwenden.
    Welche Formen von Zuckerbrot und Peitsche stehen ausländischen Gläubigern also zur Verfügung, um souveräne Schuldner zu

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