DIESES MAL IST ALLES ANDERS
disziplinieren? Diese Frage wurde zum ersten Mal kohärent in einem klassischen Aufsatz von Jonathan Eaton und Mark Gersovitz gestellt, die argumentierten, in einer veränderlichen und ungewissen Welt sei es für Länder von großem Nutzen, Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten zu haben. 4 In früheren Zeiten hat der Zugang zu Kapitalmärkten vielleicht dafür gesorgt, dass Länder in Jahren schlechter Ernten genug Nahrungsmittel importieren konnten. In modernen Zeiten müssen Länder sich unter Umständen Geld leihen, um Rezessionen zu bekämpfen oder in hochproduktive Infrastrukturprojekte zu investieren.
Eaton und Gersovitz argumentierten, die Nutzen eines kontinuierlichen Zugangs zu den Kapitalmärkten könnten Regierungen auch ohne irgendein Rechtssystem, das sie zur Kooperation zwingt, zur Erfüllung ihres Schuldendienstes veranlassen. Sie gründeten ihre Analyse auf die Vermutung, Regierungen seien um ihre »Reputation« als internationale Kreditnehmer besorgt. Wenn ihre Weigerung, Schulden zurückzuzahlen, ihre Reputation beschädigt, werden sich die Regierungen diesen Schritt gut überlegen. Eatons und Gersovitz’ Ansatz ist aus Sicht der Wirtschaftstheoretiker attraktiv, vor allem weil er relativ »institutionsfrei « ist. (Das heißt, die Theorie ist insofern »rein«, als sie nicht von den Besonderheiten einer Regierung abhängt, wie zum Beispiel rechtlichen und politischen Strukturen.) Im Prinzip kann die Theorie sowohl die Schuldenaufnahme souveräner Staaten im Mittelalter als auch in der heutigen Zeit erklären. Denken Sie daran, dass das Reputationsargument nicht einfach besagt, Länder zahlten heute ihre Schulden zurück, damit sie in der Zukunft noch mehr Geld leihen können. Wenn das der Fall wäre, wäre die internationale Schuldenaufnahme ein schneeballartiges »Ponzi-Schema« mit explodierenden Verschuldungsniveaus. 5
Der »Reputationsansatz« birgt jedoch einige subtile Probleme. Wenn das gesamte Gebäude der internationalen Kreditvergabe einfach auf Reputation basieren würde, wären die Kreditmärkte noch fragiler, als sie tatsächlich sind. Gewiss müssen die italienischen Finanziers des 14. Jahrhunderts gewusst haben, dass Englands König Edward III. in einem Gefecht oder an einer Krankheit sterben konnte. Was wäre aus ihren Krediten geworden, wenn Edwards Nachfolger völlig andere Vorstellungen und Ziele gehabt hätte? Wenn Edward Frankreich erfolgreich erobert hätte, welchen Bedarf an Kreditgebern hätte er dann in der Zukunft gehabt? 6 Wenn Institutionen wirklich keine Bedeutung haben, warum wurden und werden die Auslandsschulden von Schwellen- und Transformationsländern fast immer in Fremdwährung emittiert und die Schuldkontrakte so abgefasst, dass sie ausländischer Gerichtsbarkeit unterliegen?
Bulow und Rogoff formulierten eine weitere wichtige Herausforderung an die These, Institutionen und internationale Kreditmechanismen hätten für die internationale Kreditvergabe keine Bedeutung. 7 Es kann durchaus sein, dass Länder bereit sind, ihre Schulden zurückzuzahlen, um sich das Recht zu erhalten, auch in Zukunft Geld zu leihen. Doch an einem bestimmten Punkt hätte Englands Schuldenlast einen Punkt erreicht, an dem der erwartete Wert der Rückzahlung bestehender Schulden jede zukünftige Kreditaufnahme überstiegen hätte. An einem bestimmten Punkt muss ein Land seine Schuldengrenze erreichen. Warum hatte Edward III. (oder sein Nachfolger) Englands Schulden bei Italien nicht einfach für null und nichtig erklärt? Dann hätte England jede Zahlung, die es andernfalls eventuell an seine italienischen Gläubiger geleistet hätte, dazu nutzen können, Goldreserven anzulegen, auf die es im Falle eines zukünftigen Engpasses hätte zurückgreifen können.
Der Reputationsansatz erfordert daher eine gewisse Disziplin. Bulow und Rogoff argumentieren, ausgefeilte Investmenstrategien (zum Beispiel solche, wie sie in ausländischen Aktienmärkten angewendet werden) könnten in modernen Zeiten eine gute – oder fast so gute – Absicherung gegen einen Zahlungsausfall bieten wie jeder potenzielle ausländische Kreditfluss. In einer anderen Arbeit vertraten Bulow und Rogoff die These, anstatt sich einfach auf die eigene Reputation zu verlassen, lasse sich die Rückzahlung eines Großteils der Auslandskredite – vor allem solcher, die an Schwellen- und Transformationsländer vergeben wurden – mittels der gesetzlichen Rechte der Gläubiger in den Heimatländern der
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