Diesseits Des Mondes
vor der Tür erklang, es war Sharon lieber, mit Amnon allein zu sein als mit Ruth. Als er Sharon sagte, dass er weggehen müsse, fragte Sharon ihn: Wohin gehen wir denn? Für sie war es selbstverständlich, dass sie zu Amnon gehörte, doch er erklärte ihr, dass sie Ruths Kind sei und daher nicht mit ihm, Amnon, mitkommen könne. Als Amnon sah, dass Sharon weinte, weinte auch er.
Sharon hatte Amnon lange schmerzlich vermisst. Aber damals war die Großmutter noch da, Ruths Mutter. Sie wohnte in der Ben-Jehuda-Straße, nahe dem Meer. Sharon verbrachte fast jedes Wochenende bei ihr. Die Großmutter hatte bis zu ihrem Tod das gleiche dichte schwarze Haar wie Ruth und Sharon gehabt, sie war niemals alt gewesen und niemals ganz Israeli. Großmutter war in Deutschland geboren, in Bad Cannstatt. Ihre Eltern hatten sie 1933 nach Palästina geschickt, weil sie fürchteten, dass es in Deutschland nicht gutgehen könne. Sie selbst wollten nachkommen, wenn alles geordnet sei. Sie hatten es nicht mehr geschafft, waren mit der übrigen Familie deportiert und in Theresienstadt ermordet worden. Trotzdem sprach Großmutter deutsch. Sie sprach es mit Fritz, ihrem Mann, mit Ruth, ihrer Tochter, und auch mit Sharon. Sharons Großvater, Sohn jüdischer Einwanderer aus Hamburg, war als 1 5-Jähriger mit seinen Eltern nach Palästina gekommen. Sein Vater, in Deutschland ein wohlhabender Kaufmann, der aberweder religiös war noch hebräisch sprach, verlor sein nach Palästina transferiertes Vermögen durch einen betrügerischen Geschäftspartner. Bis er wieder eine neue Existenz aufgebaut hatte, war das Geld in der Familie knapp. Sharons Großvater, ein verträumter Junge, der das Land Palästina hasste und sich ständig nach Deutschland zurücksehnte, konnte nur auf eine kostenlose landwirtschaftliche Schule gehen. Er, der von zarter Konstitution war und sich für Dichter, Komponisten und Maler interessierte, musste sich mit Ackerbau beschäftigen. Sein Hass auf das Land wurde immer größer. Er verschloss sich gegen die Mitschüler, gegen seine Familie, wurde ein störrischer Einzelgänger, der vor allem seine deutsche Identität verteidigte. Er las deutsche Bücher, schrieb ein Tagebuch in Deutsch. Als er viel später aus dem Internat ausbrach und Medizin studieren konnte, lernte er im deutschen Kulturkreis von Tel Aviv das deutsch-jüdische Mädchen Eva Stern kennen. Er lieh ihr seine Bücher aus. Sie erzählten einander alles, was sie von Deutschland noch wussten. Sie begannen bald, einer im anderen die Heimat zu sehen. Obwohl noch sehr jung, heirateten sie. Als Sharons Mutter, Ruth, 1941 auf die Welt kam, waren die Eltern jedoch dankbar, dass sie mit ihrem Baby in Israel leben durften, jetzt, da in Deutschland der Nazi-Terror tobte. Obwohl nicht religiös erzogen, begannen sie, die jüdischen Festtage zu feiern und das Land zu lieben, das sie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten bewahrte. Beide schlossen sich der Haganah, der jüdischen Wehrorganisation, an. Sharon hatte ihren Großvater nicht gekannt. Er war 1948 als Begleiter in einem Versorgungskonvoi erschossen worden.
Als Sharons Großvater fiel, war ihre Mutter sieben Jahre alt. Als Ruth sich von Sharons Vater scheiden ließ, war Sharon sieben Jahre alt. Sieben. Die magische Zahl. Sharons Vater André, Journalist wie die Mutter, studierte bereits, als er Ruth kennen lernte, die ihren Wehrdienst ableistete. Ruth wurde schwanger, wollte aber unter keinen Umständen schwanger bleiben, da es ihr unerträglich schien, wegen eines Kindes zu heiraten. André jedoch bestand darauf. Sorglos hatte er gemeint: Was soll schon sein, wenn es nicht geht, auch gut. Es ging nicht lange gut. André fühlte sich bald eingeengt, hatte Freundinnen, die Ruth immer wieder tolerierte. Sie liebte André, wollte nicht kleinlich sein. Doch dann passierte es, dass André sich in Nava verliebte, ernsthaft, dass er nicht mehr zurückkam zu Ruth und dem Kind. Er wollte die Scheidung, um Nava zu heiraten. Die beiden gingen nach New York. Ruth verharrte lange mit dem Blick auf die Tür. Sie, die nie eine zärtliche Mutter sein konnte, die es André oft überlassen hatte, das Kind zu wickeln und zu füttern, sie, die das kleine Mädchen mit ungeduldigen Klapsen traktierte, wenn es in ihrer Nähe spielen wollte, sie entfernte sich nach der Scheidung von André noch mehr von Sharon. Brachte sie immer häufiger zur Großmutter, schrie sie an, obwohl sie genau wusste, dass es ihre Verletztheit war, die
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