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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asta Scheib
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hergegangen sei und ihnen geleuchtet habe. Die Großmutter hatte nichts erwidert und Sharon blieb still. Doch oft sah sie sich mit der ganzen ihr unbekannten Familie Stern am Tag einer Wolkensäule folgen und in der Dunkelheit einer Feuersäule. Sie fürchtete sich vor beidem und konnte doch nicht aufhören, sich vorzustellen, wie alle Sterns auszogen aus dem Land Württemberg. Doch keine der rettenden Säulen war erschienen, und so waren schließlich nur Großmutter, Ruth und Sharon übrig geblieben. Ruth und sie waren Sabre, im Land geborene Nachkommen von Jeckes. Seit Sharon wusste, was Jeckes oder Jekkes überhaupt bedeutete, war sie stolz darauf. Sie mochte vielleicht sechs Jahre alt gewesen sein, als Mira, ein Nachbarsmädchen, ihre Falafel achtlos auf die Haustreppe warf, auf der Sharon saß und malte.Zum einen aß Sharon sehr gern diese Waffeln, zum anderen hatte das Geschoss sie erschreckt. Zornig rief sie Mira zu, was ihr einfalle, die Falafel wegzuwerfen, sie solle sofort kommen und sie aufheben. Aggressiv schrie Mira zurück: »Das ist meine Falafel, mit der mach ich, was ich will, und überhaupt, von Jeckes lass ich mir gar nichts sagen.«
    Sharon hatte Ruth gefragt, und die Mutter erklärte ihr, dass Jeckes ursprünglich ein höhnischer Name gewesen sei für Juden aus Deutschland, die Anfang der Dreißigerjahre vor Hitler nach Palästina geflüchtet seien. In Palästina lebten damals mehr als eine Million Menschen, davon waren vielleicht 200   000   Juden, der Rest Araber. Doch schon 1941, als der Zweite Weltkrieg die Einwanderung nach Palästina blockierte, lebten dort bereits eineinhalb Millionen Menschen, ein Drittel davon waren Juden. Waren es vor dem Krieg etwa zweitausend deutsche Juden gewesen, die in Palästina eingewandert waren, so suchten bald mehr als fünfzigtausend verfolgte deutsche Juden dort Schutz. Das war für damalige Verhältnisse eine Masseneinwanderung, die kaum verkraftet werden konnte. Es gab noch keine deutsch-jüdische Gemeinschaft, noch keine Immigrantenfürsorge. Die Einwanderer waren auf sich allein angewiesen. Sie waren zum großen Teil gezeichnet durch die Verfolgung in Hitlerdeutschland. Sie sprachen meist kein Hebräisch, konnten also in ihren Berufen als Kaufleute, Journalisten, Schauspieler oder Ärzte zunächst nicht arbeiten. Sie mussten versuchen, von der Landwirtschaft zu leben, Kartoffeln anzubauen oder Hühner zu züchten. Dinge, die sie zum Teil nur dem Namen nach kannten. Die Siedler machten dabei bittere demütigende Erfahrungen.Menschen, die in Deutschland Villen bewohnt und große Vermögen besessen hatten, lebten jetzt mit ihren Kindern in primitiven Ställen. Alles, was sie zum Überleben brauchten, musste erlernt werden: Pflügen mit Eseln, künstliches Bewässern der steinigen Felder, die seit Jahrtausenden brachlagen. Unter größeren Steinbrocken lauerten Schlangen, Skorpione und Taranteln. Die Einwanderungsbehörden schickten Experten, die den Neulingen helfen sollten. Sie prägten irgendwann den Begriff »Jeke«, was so viel heißt wie »ein Jude, der schwer versteht«. Das bezog sich auch auf die Sprachprobleme der deutschen Neueinwanderer, die sich in ihren Dörfern abkapselten von den Juden aus Osteuropa, aus Nord- und Südafrika und aus den USA.   Die Deutschen hielten häufig starr an ihren Traditionen fest und sprachen auch zwanzig Jahre später noch nicht hebräisch, fanden nie so recht Anschluss an die hebräische Kultur.
     
    Sharons Großmutter, Eva Stern, deren Verwandte sich nicht ausreichend um das Waisenkind kümmern konnten, kam in einen Kibbuz. Die Kinder dort, alle im gleichen Alter wie Eva, nämlich zwischen zwölf und vierzehn, waren fast alle Sabres, also im Land geboren, und sprachen im Gegensatz zu Eva Hebräisch. Eva war von Anfang an in eine Außenseiterrolle gedrängt. Zusammen mit noch zwei anderen Mädchen wohnte sie in einem Zelt. Morgens ging es zur Arbeit in den Kuhstall, nachmittags wurden sie von einem Lehrer unterrichtet. Zu dieser Tageszeit war es für Evas Begriffe unerträglich heiß, sie hatte nach der schweren Arbeit des Morgens Mühe, dem Unterricht zu folgen. Ihr Lehrer gab sich große Mühe mit ihr,sprach mit ihr Englisch, das Eva in Deutschland noch gelernt hatte. Deutsch sprach niemand mit Eva. Deutsch wurde als Sprache Hitlers verachtet. Die meisten Leute im Kibbuz stammten aus Osteuropa. Sie hatten früher in Gettos gelebt, waren geflüchtet. In Palästina ließ ihnen die Freiheit Flügel wachsen.

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