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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asta Scheib
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und mit Abel. Sie hatten der Tänzerin zugesehen, die täglich mit elastischen Schritten am Meer entlangging. Eine grauhaarige Tänzerin, die auf dem nassen Sand ihre Vorstellung gab. Balance, Schwünge, Pirouetten, beschwörend beschrieben die Hände komplizierte Figuren. Und die Wäscherin kam jeden Tag. Tiefbraun, von hoher kräftiger Gestalt, stand sie nahe der Dusche, um sich fast ohne Unterbrechung dort zu waschen. Nur ungern ließ sie andere Leute unter den Wasserstrahl.Sie wusch ihre Kleider, die Taschen, in denen sie offenbar alles aufgehoben hatte, was ihr gehörte. Wollte ihr jemand den Zutritt zur Dusche verwehren, gab sie nur scheinbar nach, um dann umso entschlossener wieder zu duschen. Verrückte, dachte Sharon, in Israel gab es so viele Verrückte.
    Über den Wolken versuchte Sharon, sich auf das Kommende zu konzentrieren. In Tel Aviv waren die Tage kaum ausreichend gewesen, Ruths und Sharons Leben dort abzuschließen. Sharon hatte alle Möbel verkauft, das Haus in Ramat Chen fand sofort neue Mieter, die das Mobiliar zum großen Teil mit übernommen hatten. Jakob kaufte Ruths Fiat für einen zu hohen Preis, wie Sharon fand, aber er bestand darauf. Alles in allem war es nicht viel Geld, was Sharon behielt, als alles Behördliche geregelt war. Doch sie war noch nie wohlhabend gewesen. Großmutter hatte immer arbeiten müssen, zuletzt in der Herzl-Bibliothek. Ruth verdiente beim
Ha’aretz
zumindest so viel, dass sie das geräumige Haus in Ramat Chen mieten und angenehm leben konnten. Sparsamkeit, Haushalten, diese Begriffe hatte Sharon daheim nie gehört. Allenfalls im Zusammenhang mit Verwandten oder Bekannten, die diesen Hang hatten und von Großmutter und Mutter manchmal halbherzig darum beneidet wurden. Sharon hatte auch, als sie Wehrsold bekam, von Ruth zusätzlich Taschengeld erhalten. Andere Mädchen mussten sich oft von ihren Eltern Geld erkämpfen. Sharon nie. Sie hatte auch keine konkrete Vorstellung davon, wie lange sie in Deutschland von ihrem Geld würde leben können. Jedenfalls hatte sie für den Flug ein Ticket in der ersten Klasse gebucht und in München ein Zimmer im Bayerischen Hofbestellt. Der Name »Bayerischer Hof« gefiel ihr. Ein Hof in Bayern. Da wollte sie wohnen. Zunächst einmal. Dann würde sie weitersehen. Bei der Zahal hatte Sharon in den Dörfern Kinder von Einwanderern unterrichtet, die kein Wort Hebräisch konnten. Diese Arbeit hatte ihr viel Freude gemacht, und sie stellte sich vor, dass sie auch in Deutschland mit Kindern arbeiten könnte. Sharon sprach mühelos Deutsch. Sie hatte am Goethe-Institut jahrelang Deutsch gelernt, an Intensivkursen und Discussion-Clubs teilgenommen. Sie sprach wesentlich besser deutsch als Ruth, die es nur mit Großmutter und dann kaum noch gesprochen hatte. Sharon las auch Deutsch. Fontane war ihr Lieblingsautor. Von den Gegenwartsautoren las sie Christa Wolf, Wolfgang Koeppen, Martin Walser.
    Besonders in Koeppens Buch
Jugend
las Sharon immer wieder. »Ich glaubte damals, aufzuwachen, aber die Wahrheit ist wohl, dass mein Schlaf sich in einem Traum verlor. Ich sah mich in diesem Traum agieren, ich handelte folgerichtig nach einer ihm innewohnenden Logik; doch hätte ich zu keiner Zeit sagen können, wovon ich träumte oder auf welches Ziel hin ich mich bewegte. Dies lässt sich auch nicht damit erklären, dass mein Ziel die Ziellosigkeit war   ... Ich hatte mir nichts vorgenommen, nicht einmal die Ziellosigkeit; nur steuerte ich beharrlich von den anderen fort, und das war es, worauf es mir ankam.«
    Beharrlich von den anderen fort   ... Sharon wurde aus ihren Gedanken aufgeschreckt, als die Stewardess Essen brachte. Der Herr, der schräg gegenüber von Sharon saß und bisher in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung
gelesen hatte, wobei er beim Umblättern jedes Mal Sharon anschaute, der Herr fragte Sharon, ob siezum ersten Mal nach Deutschland fliege. Sharon bejahte. Der eher mittelgroße, weißhaarige Mann, er mochte um die sechzig sein, hatte ein gebräuntes, glattes Gesicht, in dem starke, weiße Brauen auffielen und hellgraue Augen. Er trug ein Kaschmirjackett und zwei Brillantringe. Ich will nicht aufdringlich sein, sagte er zu Sharon, aber ich wüsste gern, was Sie nach München führt. Sharon hatte keine Lust, mit jemandem zu reden, obwohl ihr der Weißhaarige nicht unsympathisch war. Sie sagte daher freundlich, aber abschließend: Ich werde in München leben. Daraufhin holte der Mann aus seinem Jackett eine Visitenkarte und gab

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