Diesseits vom Paradies
und machte sich Richtung Süden auf, um Monsignore in Washington zu treffen. Sie verpassten sich um zwei Stunden, und ihm fiel ein alter Onkel wieder ein, bei dem er ein paar Tage zu verbringen beschloss; so reiste Amory durch die üppigen Felder von Maryland ins Ramilly County. Doch statt zwei Tage dauerte sein Aufenthalt von Mitte August bis Ende September, denn in Maryland begegnete er Eleanor.
[320] III
Jugendliche Ironie
Noch Jahre später, wenn Amory an Eleanor dachte, glaubte er, das Seufzen des Windes zu hören, das es ihm kalt ums Herz werden ließ. In der Nacht, als sie den Hügel hinaufritten und zusahen, wie der kalte Mond durch die Wolken trieb, verlor er einen weiteren Teil von sich, der durch nichts wiederhergestellt werden konnte; und damit verlor er auch die Fähigkeit, es zu bedauern. Mit Eleanor schlich sich, so kann man sagen, zum letzten Mal das Böse unter der Maske der Schönheit nah an Amory heran, sie war das letzte seltsame Geheimnis, das ihn heftig zu fesseln vermochte und seine Seele in kleinste Splitter zermalmte.
Bei ihr trieb seine Phantasie wilde Blüten, und darum ritten sie zum höchsten Hügel hinauf und sahen zu, wie ein böser Mond aufging, denn sie wussten wohl, dass sie den Teufel ineinander sehen konnten. Doch Eleanor – hatte Amory sie geträumt? Hernach spukten sie einander im Kopf herum, dennoch hofften beide aus tiefster Seele, sich nie wiederzusehen. War es die unendliche Traurigkeit ihrer Augen, die ihn anzog, oder das Spiegelbild seiner selbst, das er in der wundervollen Klarheit ihres Denkens fand? Sie wird nie wieder ein solches Abenteuer erleben wie Amory, und wenn sie dies liest, wird sie sagen: »Und Amory wird nie wieder ein solches Abenteuer erleben wie mich.«
[321] Und wird dabei nicht seufzen, ebenso wenig wie er.
Eleanor versuchte es einmal zu Papier zu bringen:
Die schwindenden Dinge, die einzig wir wissen,
Werden wir vergessen haben…
Beiseite gelegt…
Sehnsüchte, die mit dem Schnee dahinschmolzen,
Und Träume, die heute
Dies hervorbrachten:
Die jähe Morgenröte, die wir lachend grüßten,
Die jeder sehen, keiner teilen konnte,
Wird nur Morgenröte sein… und wenn wir uns begegnen,
Werden wir nicht darauf achten.
Lieber… nicht eine Träne wird darum vergossen werden…
Nach einer kleinen Weile
Wird kein Bedauern
Mehr sich regen bei der Erinnerung an einen Kuss –
Nicht einmal das Schweigen,
Als wir uns begegneten,
Wird alten Geistern Raum zum Schweifen geben
Oder Aufruhr machen auf der Oberfläche der Seen…
Wenn graue Formen unter der Gischt dahintreiben,
Werden wir es nicht sehen.
Sie zankten sich heftig, weil Amory darauf bestand, dass »Seen« und »sehen« unmöglich als Reim verwendet werden [322] konnten. Und dann hatte Eleanor noch das Bruchstück eines anderen Verses, für den sie keinen Anfang fand:
Doch Weisheit vergeht… dennoch werden die Jahre
Uns weiter Weisheit einflößen… Das Alter wird
Zurück zu den Alten gehen… Trotz all unserer Tränen
Werden wir nichts wissen.
Eleanor hasste Maryland aus tiefstem Herzen. Sie gehörte zur ältesten der alten Familien von Ramilly County und lebte mit ihrem Großvater in einem großen düsteren Haus. Geboren und aufgewachsen war sie in Frankreich… Ich sehe, ich fange es falsch an. Ich versuche es noch einmal.
Amory langweilte sich, wie immer auf dem Lande. Er unternahm weite Spaziergänge allein – trug dabei den Kornfeldern Ulalume vor und beglückwünschte Poe dazu, sich in solch heiter-behaglicher Umgebung zu Tode getrunken zu haben. Eines Nachmittags war er einige Meilen weit auf einer ihm unbekannten Straße entlanggeschlendert und dann, dem schlechten Rat einer Farbigen folgend, quer durch den Wald… wo er sich völlig verirrte. Auf einmal brach ein vorüberziehendes Unwetter los, und zu seiner großen Beunruhigung wurde der Himmel pechschwarz, und Regen prasselte durch die plötzlich unheimlich und geisterhaft wirkenden Bäume. Der Donner rollte mit drohendem Krachen durch das Tal und zerstreute sich in unregelmäßigen Schlägen im Wald. Auf der Suche nach einem Weg stolperte er blind weiter aus dem Wald heraus und entdeckte schließlich durch ein Gewirr von gebrochenen Zweigen eine Lücke zwischen den Bäumen, die im Licht der [323] ununterbrochen niederzuckenden Blitze als offenes Feld zu erkennen war. Er rannte zum Waldrand und zögerte dann, ob er die Felder überqueren und versuchen sollte, das schützende kleine Haus zu erreichen, das durch
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