Diesseits vom Paradies
sagte Eleanor nach einem weiteren Moment des Schweigens. »Und deswegen bin ich hier, um noch eine deiner Fragen zu beantworten. Ich habe soeben entschieden, dass ich nicht an die Unsterblichkeit glaube!«
»Wirklich! Wie banal!«
»Ja, erschreckend banal«, antwortete sie, »aber trotzdem deprimierend, auf hoffnungslose, krank machende Weise deprimierend. Ich bin hergekommen, um nass zu werden wie ein nasses Huhn; nasse Hühner haben große Klarheit in ihrem Denken«, schloss sie.
»Erzähl nur weiter«, sagte Amory höflich.
»Ich hab keine Angst vor der Dunkelheit, also zog ich Regenmantel und Gummistiefel an und kam hierher. Bisher hatte ich immer Angst zu sagen, dass ich nicht an Gott glaube, weißt du, weil mich der Blitz treffen könnte – aber hier bin ich, und natürlich hat er mich nicht getroffen, doch [330] was das Wichtigste ist, ich hatte diesmal genauso wenig Angst davor wie zu der Zeit, als ich Christian Scientist war, das war ich nämlich letztes Jahr. Jetzt weiß ich also, dass ich Materialistin bin, und ich wollte mich gerade mit dem Heu verbrüdern, als du daherkamst und zu Tode erschrocken am Waldrand stehenbliebst.«
»Was denn, du kleine Teufelin!«, rief Amory empört. »Wovor denn erschrocken?«
»Vor dir selbst!«, schrie sie, und er zuckte zusammen. Sie klatschte in die Hände und lachte. »Siehst du – siehst du! Das Gewissen – töte es, so wie ich! Eleanor Savage, Materiologin – kein Zusammenfahren, kein Aufschrecken mehr, kommen Sie gleich…«
»Aber ich muss eine Seele haben«, wandte er ein. »Ich kann nicht bloß aus Verstand bestehen – und ich will auch nicht nur aus Molekülen bestehen.«
Sie beugte sich zu ihm, ohne ihre brennenden Augen auch nur einen Moment von den seinen zu lassen, und flüsterte mit einer Art romantischer Entschiedenheit: »Ich hab’s mir doch gedacht, Juan, ich hab’s gefürchtet – du bist sentimental. Du bist nicht wie ich. Ich bin eine romantische kleine Materialistin.«
»Ich bin nicht sentimental – ich bin so romantisch wie du. Der Unterschied ist, weißt du, dass die sentimentale Person denkt, die Dinge würden dauern – die romantische dagegen vertraut verzweifelt darauf, dass sie es nicht tun.« (Dies war eine von Amorys altbekannten Unterscheidungen.)
»Epigramme. Ich geh nach Hause«, sagte sie traurig. »Schauen wir, dass wir von dem Heuhaufen herunterkommen und zur Kreuzung vorgehen.«
[331] Langsam stiegen sie von ihrem Thron hinab. Sie wollte sich nicht von ihm helfen lassen, winkte ihn beiseite und landete mit einem einzigen graziösen Satz im Matsch, wo sie einen Moment sitzen blieb und über sich lachte. Dann sprang sie auf, schob ihre Hand in seine, und auf Zehenspitzen balancierten sie über die Felder, hüpften und sprangen von einem trockenen Fleck zum nächsten. Überirdische Freude schien aus jeder Wasserlache zu funkeln, denn der Mond war aufgegangen und das Unwetter ins westliche Maryland weitergezogen. Als Eleanors Arm den seinen berührte, spürte er seine Hände eiskalt werden vor tödlicher Angst, er könne den schattenhaften Pinsel verlieren, mit dem seine Phantasie sie in den wundervollsten Farben ausmalte. Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln, wie er es immer tat, wenn er neben ihr ging – sie war Schönheit und Tollheit zugleich, und er wünschte, ihm wäre vom Schicksal bestimmt gewesen, in alle Ewigkeit auf einem Heuhaufen zu sitzen und das Leben durch ihre grünen Augen zu betrachten. Sein Heidentum erlebte in dieser Nacht eine Sternstunde, und als sie wie ein grauer Geist die Straße hinab entschwand, kam ein tiefer Gesang aus den Feldern und begleitete seinen Heimweg. Die ganze Nacht taumelten sommerliche Nachtfalter durch Amorys Fenster; die ganze Nacht durchwogten reiche, unbestimmte Klänge in einer geheimnisvollen Traumwelt das silbrige Gras – und er lag wach in der klaren Dunkelheit.
[332] September
Amory zog einen Grashalm heraus und knabberte forschend daran herum.
»Ich verliebe mich nie im August oder September«, bemerkte er.
»Wann denn?«
»Weihnachten oder Ostern – ich halte mich streng an die Liturgie.«
»Ostern!« Sie rümpfte die Nase. »Pah! Frühling im Korsett!«
»Ostern muss wohl den Frühling langweilen, nicht wahr? Ostern trägt Zöpfe und ein Schneiderkostüm.«
»Leg an deine Sandalen, du Flüchtigste von allen,
Über deine herrlichen und flinken Füße…«
zitierte Eleanor sanft und fügte dann hinzu:
»Ich denke, Halloween ist ein besserer Tag für
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