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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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sah, also ist es nicht fair, dass du so was von mir annimmst.«
    »Wie um alles in der Welt…«
    In der ganzen Zeit ihrer Bekanntschaft konnten Eleanor und Amory »bei einem Thema« sein und aufhören zu sprechen und dabei den Gedanken klar im Kopf behalten, um nach zehn Minuten weiterzusprechen und festzustellen, dass ihre Gedanken in dieselbe Richtung gegangen und sie parallel zur gleichen Idee gekommen waren, die für andere nicht mehr die geringste Verbindung mit ihrem Ausgangspunkt erkennen ließ.
    »Sag doch«, bat er und beugte sich neugierig vor, »woher weißt du von Ulalume – woher kennst du meine Haarfarbe? Wie heißt du? Was hattest du hier zu suchen? Erzähl mir das alles!«
    Plötzlich zuckte der Blitz herab und tauchte alles in gellendes überhelles Licht, und er sah Eleanor, sah zum ersten Mal in ihre Augen. Oh, sie war wundervoll – blasse Haut, [327] die Farbe von Marmor im Sternenlicht, feingeschwungene Brauen und Augen, die in dem grellen Schein grün glitzerten wie Smaragde. Sie war eine Hexe von etwa neunzehn Jahren, schätzte er, hellwach und verträumt, und hatte jene vielsagende weiße Linie über der Oberlippe, die schwacher Punkt und entzückend zugleich war. Er holte tief Luft und ließ sich gegen die Heuwand sinken.
    »Jetzt hast du mich also gesehen«, sagte sie ruhig, »und wahrscheinlich wirst du gleich sagen, dass meine grünen Augen sich dir ins Gehirn einbrennen.«
    »Was für eine Farbe hat dein Haar?«, fragte er gespannt. »Es ist kurzgeschnitten, nicht wahr?«
    »Ja. Ich weiß nicht, was es für eine Farbe hat«, antwortete sie nachdenklich. »So viele Männer haben mich das schon gefragt. Es ist irgendwo in der Mitte, denke ich – niemand hält sich lange bei meinem Haar auf. Aber dafür habe ich schöne Augen, oder etwa nicht? Egal, was du sagst, ich habe schöne Augen.«
    »Beantworte meine Fragen, Madeline.«
    »Kann mich gar nicht an alle erinnern – außerdem heiße ich nicht Madeline, sondern Eleanor.«
    »Das hätte ich wissen können. Du siehst genau aus wie Eleanor – du hast diesen Eleanor-Blick. Du weißt schon, was ich meine.«
    Sie schwiegen und lauschten dem Regen.
    »Es rinnt mir den Hals herunter, Bruder im Wahnsinn«, sagte sie schließlich.
    »Beantworte meine Fragen.«
    »Also – Name: Savage, Eleanor; lebt in einem großen alten Haus eine Meile entfernt; der nächste lebende [328] Verwandte: Großvater – Ramilly Savage; Größe: ein Meter sechzig; Nummer des Uhrgehäuses: 3077 W; Nase: leicht gebogen; Temperament: unheimlich –«
    »Und jetzt zu mir«, unterbrach Amory. »Wo hast du mich gesehen?«
    »Ach, so einer bist du also«, antwortete sie hochmütig, »der’s nicht ertragen kann, wenn nicht über ihn gesprochen wird. Nun, mein Junge, ich war hinter einer Hecke und sonnte mich, irgendwann in der letzten Woche, und da sah ich einen Mann vorbeigehen, der in angenehmer, selbstgefälliger Sprechweise sagte:
    ›Und nun, da die Nacht vergreiste‹
    (sagt er)
    ›Die Sterne im Morgen gefrorn –
    Geschah’s, dass die Nebelwand kreißte‹
    (sagt er)
    ›Und ein schmelzender Glanz ward geborn…‹
    Also spähte ich über die Hecke, aber du hattest Gott weiß warum zu laufen begonnen, und so sah ich nur deinen schönen Hinterkopf. ›Oh‹, sagte ich, ›das ist ein Mann, um den manch eine seufzen mag‹, und fuhr fort, in meinem besten Irisch –«
    »Schon gut«, unterbrach sie Amory. »Jetzt wieder zurück zu dir.«
    »Ja gut. Ich bin eine von denen, die durch die Welt gehen und in anderen aufregende Gefühle hervorrufen, selbst aber selten welche haben außer denen, die sie in Nächten wie diesen in die Männer hineinlesen. Ich habe den [329] gesellschaftlichen Mut, auf die Bühne zu gehen, jedoch nicht die Energie; ich habe keine Geduld zum Bücherschreiben; und bisher ist mir noch kein Mann begegnet, den ich hätte heiraten wollen. Aber ich bin ja erst achtzehn.«
    Das Unwetter legte sich allmählich, und nur der Wind ließ sein unheimliches Brausen ertönen und den Heuhaufen von einer Seite zur anderen schwanken. Amory war in Trance. Er spürte, dass jeder Moment kostbar war. Noch nie war ihm ein solches Mädchen begegnet – nie wieder würde sie ihm so erscheinen. Dabei fühlte er sich keineswegs wie eine Figur aus einem Theaterstück – was die angemessene Empfindung in einer außergewöhnlichen Situation gewesen wäre –, stattdessen hatte er das Gefühl, nach Hause zu kommen.
    »Ich habe gerade eine große Entscheidung getroffen«,

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