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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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unserem Bourbon ab.«
    Amory überlegte.
    »Das ist eine Idee.«
    »Steig ein – Jill, rück ein bisschen, und Amory wird dir sein schönstes Lächeln schenken.«
    Amory quetschte sich auf den Rücksitz neben eine aufgedonnerte Blondine mit zinnoberroten Lippen.
    »Hallo, Doug Fairbanks«, sagte sie neckisch, »machst du deinen Verdauungsspaziergang, oder suchst du Gesellschaft?«
    »Ich hab die Wellen gezählt«, erwiderte Amory ernst. »Ich beschäftige mich mit Statistik.«
    »Mach keine Witze, Doug.«
    In einer ruhigen Seitenstraße suchte Alec sich die dunkelste Stelle aus und hielt an.
    »Was machst du eigentlich hier in dieser kalten Jahreszeit, Amory?«, fragte er und zog dabei eine Flasche Bourbon unter der Felldecke hervor.
    Amory wich der Frage aus. Tatsächlich war er aus keinem bestimmten Grund an der Küste.
    »Kannst du dich noch an unseren Ausflug erinnern, im Sophomore-Jahr?«, fragte er stattdessen.
    »Und ob! Als wir in Asbury Park in den Pavillons geschlafen haben…«
    »Himmel, Alec! Ein scheußlicher Gedanke, dass Jesse und Dick und Kerry alle drei tot sind!«
    Alec schauderte. »Sprich nicht davon. Dieses trübe Herbstwetter macht mich schon schwermütig genug.«
    [353] Jill schien der gleichen Meinung zu sein.
    »Doug guckt sowieso ’n bisschen finster«, bemerkte sie. »Sag ihm, er soll ’n ordentlichen Schluck nehmen – so was Gutes ist selten heutzutage.«
    »Was ich dich unbedingt fragen muss, Amory, wo wohnst du…«
    »In New York natürlich…«
    »Nein, heute Abend, meine ich, denn wenn du noch kein Zimmer hast, könntest du mir einen Gefallen tun.«
    »Mit Vergnügen.«
    »Weißt du, Tully und ich haben zwei Zimmer mit Bad dazwischen im Ranier, und er muss nach New York zurück. Ich möchte nicht gern umziehen. Frage also, willst du eins von den Zimmern nehmen?«
    Amory wollte, wenn er es gleich haben konnte.
    »Du findest den Schlüssel an der Rezeption; die Zimmer gehen auf meinen Namen.«
    Da er nicht weiter spazieren fahren oder sich einen Rausch antrinken wollte, stieg Amory aus und schlenderte gemächlich über die Promenade zurück zum Hotel.
    Er war wieder in einem Strudel, einem tiefen, träge dahinfließenden Strom, ohne Verlangen nach Arbeit oder Schreiben, Liebe oder Zerstreuung. Zum ersten Mal in seinem Leben sehnte er sich heftig danach, dass der Tod seine Generation überrollte und ihre lächerlichen Aufregungen und Kämpfe und Triumphe auslöschte. Nie schien seine Jugend so unwiederbringlich dahin wie jetzt, im Vergleich zu der Gottverlassenheit dieses Aufenthaltes und jenem ausgelassenen, vergnügten Ausflug vor vier Jahren. Dinge, die damals zu den absoluten Selbstverständlichkeiten in seinem [354] Leben gehört hatten – tiefer Schlaf, das Gefühl, von Schönheit umgeben zu sein, alle Sehnsüchte –, waren verflogen, und die Lücken, die sie hinterließen, wurden nur von ungeheurer Interesselosigkeit gefüllt, die aus seiner Ernüchterung resultierte.
    »Um einen Mann zu halten, muss eine Frau seine schlimmsten Instinkte wecken.« Dieser Satz war die Schlussfolgerung aus den meisten seiner bösen Nächte, von denen ihm, wie er spürte, eine weitere bevorstand. In Gedanken hatte er bereits Variationen dieses Themas durchzuspielen begonnen. Unerschöpfliche Leidenschaft, heftige Eifersucht, das Verlangen, zu besitzen und zu zerstören – das war alles, was von seiner Liebe zu Rosalind geblieben war; dies blieb ihm als Gegenleistung für den Verlust seiner Jugend – bittere Medizin unter der dünnen Zuckerschicht der Liebesglut.
    In seinem Hotelzimmer zog er sich aus, wickelte sich zum Schutz gegen die kühle Oktoberluft in Decken und döste in einem Sessel am offenen Fenster vor sich hin.
    Er erinnerte sich an ein Gedicht, das er vor Monaten gelesen hatte:
    O treues altes Herz, das sich so lang für mich geplagt,
    Ich vergeude meine Jahre, über die Meere zu segeln…
    Doch hatte er nicht das Gefühl von Vergeudung, nicht das Gefühl von Hoffnung, die zugleich mit dieser Vergeudung angedeutet war. Er empfand, dass das Leben ihn verschmäht hatte.
    »Rosalind! Rosalind!« Er ließ die Worte sanft ins [355] Halbdunkel strömen, bis sie sich im Raum aufzuhalten schien; die feuchte salzige Brise benetzte sein Haar; die Mondsichel war ein feuriges Mal am Himmel und ließ die Vorhänge düster und unheimlich erscheinen. Er schlief ein.
    Als er erwachte, war es sehr spät und still. Die Decke war ihm halb von den Schultern gerutscht, und seine Haut fühlte sich

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