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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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degenerierten Italiener und die ungebildeten Iren bußfertig, mit ihrem Gebrabbel über das sechste und neunte Gebot. Nichts als Deckmäntel, Gefühlsduseleien, spirituelle Tünche und Allheilmittel. Ich sag dir, es gibt keinen Gott, nicht mal eine bestimmte abstrakte Form des Guten; also muss sich jeder Einzelne alles selbst ausdenken, hier, hinter weißen Stirnen wie meiner, und du bist viel zu überzeugt von dir, um’s zuzugeben.« Sie ließ sich gehen und ballte ihre kleinen Fäuste gegen die Sterne.
    »Wenn es einen Gott gibt, dann soll er mich niederstrecken – soll er mich doch niederstrecken.«
    »Wieder das Gerede über Gott nach Art der Atheisten«, sagte Amory scharf. Sein Materialismus, der nur eine dünne Hülle war, zerfiel unter Eleanors Blasphemie zu Staub… Sie wusste es, und es ärgerte ihn, dass sie es wusste.
    »Und wie die meisten Intellektuellen, die keinen Gefallen am Glauben finden«, fuhr er kalt fort, »wie Napoleon und Oscar Wilde und alle Übrigen deiner Sorte, wirst auch du auf deinem Totenbett laut nach einem Priester schreien.«
    Eleanor zügelte scharf ihr Pferd, und er lenkte seines neben sie.
    »Werde ich das?«, fragte sie mit seltsamer Stimme, die ihn erschreckte. »Werde ich das? Schau her! Ich springe über die Klippe!« Und bevor er eingreifen konnte, war sie umgekehrt und ritt wie der Teufel auf das Ende des Plateaus zu.
    Er machte kehrt und ritt ihr nach, sein Körper zu Eis erstarrt, die Nerven zum Zerreißen gespannt. Es war unmöglich, sie aufzuhalten. Der Mond war von einer Wolke verdeckt, und ihr Pferd würde blind in die Tiefe stürzen. Dann, [345] vielleicht drei Meter vor dem Rand der Klippe, schrie sie plötzlich auf und warf sich seitwärts – stürzte vom Pferd, überschlug sich zweimal und blieb in einem Gebüsch liegen, etwa einen Meter vom Abgrund entfernt. Das Pferd stürzte mit einem schaurigen Wiehern hinunter. Einen Augenblick später war er bei Eleanor und sah, dass ihre Augen offenstanden.
    »Eleanor!«, schrie er.
    Sie antwortete nicht, aber ihre Lippen bewegten sich, und ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen.
    »Eleanor, bist du verletzt?«
    »Nein, ich glaube nicht«, sagte sie schwach und begann zu weinen.
    »Ist mein Pferd tot?«
    »Lieber Gott – ja!«
    »Oh!«, jammerte sie. »Ich dachte, ich würde hinunterstürzen. Ich wusste nicht…«
    Er half ihr liebevoll auf die Füße und hievte sie in seinen Sattel. So machten sie sich auf den Heimweg – Amory zu Fuß und sie über den Sattelknauf gebeugt, bitterlich schluchzend.
    »Ich bin nicht ganz bei Trost«, stammelte sie, »schon zweimal hab ich so was gemacht. Als ich elf war, ist Mutter – ist Mutter wahnsinnig geworden – einfach komplett verrückt. Wir waren in Wien…«
    Auf dem ganzen Rückweg sprach sie stockend von sich, und Amorys Liebe verblasste langsam mit dem Mond. Vor ihrer Tür wollten sie sich wie gewohnt einen Gutenachtkuss geben, doch weder konnte sie sich in seine Arme werfen, noch waren ihr diese entgegengestreckt wie noch in der [346] Woche zuvor. Einen Augenblick standen sie da und hassten einander mit bitterer Trauer. Doch wie Amory in Eleanor sich selbst geliebt hatte, so war auch das, was er jetzt hasste, nur ein Spiegel. Ihre Posen lagen wie Scherben verstreut in der bleichen Dämmerung. Die Sterne waren schon lange verblasst, und zurück blieben nur die kleinen seufzenden Windböen und die Momente der Stille dazwischen… aber nackte Seelen sind immer etwas Armseliges, und bald machte er sich auf den Heimweg und ließ mit der Sonne neue Lichter aufgehen.
    Ein Gedicht,
das Eleanor Amory einige Jahre später sandte
    Hier, aus der Erde geboren, über dem Fluss des Wassers,
    Das seine Musik lispelt und die Last des Lichtes trägt,
    Den Tag ans Herz drückt als lachende und strahlende Tochter…
    Hier können wir ungehört flüstern, ohne Angst vor der Nacht.
    Wir gehen allein… war es der Glanz, der uns band, oder was,
    Tief in der Zeit, als die Sommersonne ihr Haar herabließ?
    Schatten liebten wir, und die Muster, mit denen sie den Boden überzogen,
    Wandteppiche, geheimnisvoll, verblasst in der windstillen Luft.
    [347] Das war der Tag… Und die Nacht, eine andere Geschichte,
    Bleich wie ein Traum und überschattet von feingezeichneten Bäumen –
    Geister der Sterne zogen vorbei, die Ruhm gesucht hatten,
    Flüsterten uns von Frieden in dem klagenden Hauch,
    Flüsterten von altem, totem Glauben, den der Tag zersprengt,
    Jugend die Münze, die Freude vom

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