Diesseits vom Paradies
Stunde höchst angeregter Unterhaltung bei etlichen Zigaretten hatte Monsignore unter anderem erfahren, dass Amory nicht im katholischen Glauben erzogen worden war, was ihn überraschte, ohne ihn sonderlich zu schockieren; er kündigte Amory einen weiteren Gast an – den Ehrenwerten Thornton Hancock aus Boston, ehemals Vertreter bei den Haager Friedenskonferenzen und [44] Verfasser eines gelehrten Geschichtswerkes über das Mittelalter – der letzte Nachkomme einer distinguierten, hochgebildeten und patriotischen Familie.
»Er kommt her, um sich ein bisschen auszuruhen«, sagte Monsignore vertraulich, als spräche er zu einem Gleichaltrigen. »Ich bin seine Zuflucht, wenn er vom Agnostikerdasein erschöpft ist, und ich bin wohl der Einzige, der weiß, wie seine gelassene alte Seele hilflos in der Brandung treibt und sich nach einem verlässlichen Balken wie der Kirche sehnt, an den er sich klammern kann.«
Ihr erstes gemeinsames Mittagessen war eins der denkwürdigsten Ereignisse in Amorys jungem Leben. Er glänzte mit funkelnden Einfällen und bezauberte durch seinen Charme. Monsignore beschwor seine besten Ideen in bestechenden Thesen und Fragestellungen, und Amory fand aus der Fülle seiner Eingebungen und Sehnsüchte und Abneigungen und Überzeugungen und Befürchtungen eine geistreiche Erwiderung nach der anderen. Monsignore und er bestritten die Unterhaltung allein, und der Ältere, weniger empfänglich und duldsam in seinem Denken, doch gewiss nicht kälter in seinen Empfindungen, schien zufrieden damit, ihnen zuzuhören und sich an den milden Sonnenstrahlen zu wärmen, die zwischen den beiden hin und her tanzten. Viele Menschen spürten dieses warme Licht, das Monsignore ausstrahlte; Amory verströmte es in seiner Jugend und in gewissem Grade auch später, als er sehr viel älter war, doch nie wieder strahlte es so spontan auf beiden Seiten.
Ein vielversprechender Junge, dachte Thornton Hancock, der mit der Elite zweier Kontinente vertraut war und Parnell, Gladstone und Bismarck kennengelernt hatte – und [45] später fügte er Monsignore gegenüber hinzu: »Man sollte seine Erziehung jedoch nicht einer Schule oder einem College überlassen.«
Doch in den nun folgenden vier Jahren waren Amorys Geisteskräfte ganz darauf konzentriert, Ansehen zu erringen und die verzwickten gesellschaftlichen Verhältnisse an der Universität und in der amerikanischen Gesellschaft beim Tee im Biltmore und auf dem Golfplatz in Hot Springs zu durchschauen.
Alles in allem eine wundervolle Woche, die Amory völlig durcheinanderbrachte, hundert seiner Theorien bestätigte und aus seiner Lebensfreude tausend ehrgeizige Pläne herauskristallisierte. Dabei war die Unterhaltung keineswegs schulmeisterlich – Gott bewahre! Amory hatte nur eine vage Vorstellung, wer wohl Bernard Shaw war – doch Monsignore widmete The Beloved Vagabond und Sir Nigel ebenso viel Aufmerksamkeit und sorgte dafür, dass Amory niemals den Boden unter den Füßen verlor.
Doch schon waren die Signale hörbar, die Amory zum ersten Gefecht mit seiner eigenen Generation riefen.
»Nein, es fällt dir nicht schwer zu gehen. Für unsereins ist die Heimat immer da, wo wir nicht sind«, sagte Monsignore.
»Doch, es fällt mir schwer…«
»Nein. Du und ich, wir brauchen niemanden auf der Welt.«
»Aber…«
»Leb wohl.«
[46] Der niedergeschlagene Egoist
Obwohl die zwei Jahre in St. Regis für Amory abwechselnd schmerzliche und glanzvolle Erfahrungen bereithielten, blieben sie für sein Leben ähnlich bedeutungslos wie die amerikanische prep school für das Leben der Amerikaner im Allgemeinen, werden sie doch von den Universitäten mit dem Absatz zerdrückt. Wir haben kein Eton, um das Selbstbewusstsein einer herrschenden Klasse zu bilden; stattdessen haben wir saubere, farblose und langweilige prep schools. .
Amory machte von Anfang an alles falsch, galt bei allen als dünkelhaft und arrogant und wurde allgemein verachtet. Er spielte mit Hingabe Football, schwankte jedoch zwischen verwegenen Bravourstücken und der Neigung, so wenig zu riskieren, wie es nur irgend mit Anstand möglich war. In heller Panik drückte er sich vor einer Rauferei mit einem gleichstarken Jungen, was ihm wildes Hohngebrüll eintrug, und eine Woche später brach er tollkühn einen Streit mit einem wesentlich größeren Jungen vom Zaun, aus dem er schwer geschlagen, aber zufrieden mit sich selbst hervorging.
Autoritäten reizten ihn grundsätzlich zum Widerspruch, und dies,
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