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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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hatte sich ihm als prächtiges Bild tief eingeprägt, das den Traumstädten aus 1001 Nacht gleichkam; doch diesmal sah er die Stadt bei künstlichem Licht, und am Broadway ging ein gewisser Zauber von den Leuchtreklamen für Autorennen aus, und es funkelte aus den Augen der Frauen im Astor, wo er mit dem jungen Paskert, einem Mitschüler von St. Regis, zu Mittag aß. Als sie im Theater an den Sitzreihen entlanggingen, begrüßt vom hektischen [50] Durcheinander, den Missklängen ungestimmter Geigen und dem schweren, betörenden Duft von Schminke und Puder, bewegte sich Amory in einer Sphäre epikureischer Lebensfreude. Das alles entzückte ihn. Man spielte The Little Millionaire mit George M. Cohan; außerdem wirkte eine junge, hinreißend schöne Brünette mit, deren Tanz ihn in Ekstase versetzte und bei deren Anblick ihm die Augen aus dem Kopf quollen.
    Oh – du – wunderbares Mädchen
    Ein wunderbares Mädchen bist du –
    sang der Tenor, und Amory stimmte ihm schweigend, doch leidenschaftlich zu.
    All – deine – wunderbaren Worte
    Lassen mich erbeben –
    Bei den letzten Tönen steigerten sich die Geigen zu einem gefühlvollen Tremolo, das Mädchen sank als sterbender Schmetterling auf der Bühne zusammen, und gewaltiger Applaus erfüllte das Haus. Ach – sich so zu verlieben, zu den sehnsüchtigen, zauberhaften Klängen einer solchen Melodie!
    Die letzte Szene spielte auf einem Dachgarten, und die Cellos seufzten zum Theatermond hinauf, während sich auf der weißgekalkten Bühne ein Feuerwerk aus frivolen Abenteuern und harmlos-seichter Komödie versprühte.
    Amory hätte den Rest seines Lebens auf Dachgärten zugebracht, wenn es dort Mädchen gab wie dieses – oder [51] besser: genau dieses Mädchen… Er malte sich aus, wie ihr Haar im Mondlicht golden schimmerte, während ein aus dem Nichts hervorgezauberter Kellner ihnen perlenden Wein einschenkte. Als der Vorhang sich zum endgültig letzten Mal senkte, gab er einen so tiefen Seufzer von sich, dass die vor ihm Sitzenden sich umdrehten, ihn anstarrten und laut genug, dass er es hören konnte, sagten:
    »Was für ein gutaussehender Junge!«
    Dies ließ ihn das Theater vergessen, und er fragte sich, ob die New Yorker Gesellschaft ihn wohl tatsächlich für gutaussehend hielt.
    Ohne ein Wort gingen sie zum Hotel zurück. Paskert brach als Erster das Schweigen. Seine rauhe Stimme eines Fünfzehnjährigen hatte eine melancholische Färbung, als sie Amorys Träumereien unterbrach:
    »Ich würd das Mädchen auf der Stelle heiraten.«
    Es war keine Frage, welches Mädchen er meinte.
    »Ich würd sie gern mit nach Hause nehmen und meiner Familie vorstellen«, fuhr Paskert fort.
    Das imponierte Amory gewaltig. Er wünschte, er und nicht Paskert hätte das gesagt. Es klang so erwachsen.
    »Wie ist es denn mit Schauspielerinnen – die sind wohl alle ziemlich verdorben?«
    »Nein, Sir, absolut nicht«, sagte der junge Weltmann mit Nachdruck, »und das Mädchen hier schon gar nicht. Dafür leg ich meine Hand ins Feuer.«
    Im Weitergehen verloren sie sich in der Menge, die den Broadway bevölkerte, gerieten mit der Musik ins Träumen, die aus den Cafés zu ihnen drang. Unbekannte Gesichter blitzten in der Menge auf wie Myriaden von Lichtern und [52] verschwanden wieder, blasse Gesichter und geschminkte, müde Gesichter, die von einer schwachen Erregung wach gehalten wurden. Amory beobachtete sie fasziniert. Er machte Pläne für sein Leben. Er würde in New York leben, in allen Restaurants und Cafés bestens bekannt sein, vom frühen Abend bis zum frühen Morgen im Gesellschaftsanzug herumlaufen und die öden Vormittagsstunden verschlafen.
    »Ja, Sir, ich würd das Mädchen auf der Stelle heiraten!«
    In jeder Hinsicht ein Held
    Der Oktober seines zweiten und letzten Jahres in St. Regis blieb Amory als Höhepunkt im Gedächtnis. Das Spiel gegen Groton dauerte von drei Uhr einen flotten, amüsanten Nachmittag lang bis weit in die kühle Herbstdämmerung hinein, und Amory als Quarterback trieb die anderen in höchster Aufregung an, startete die wildesten Attacken, gab mit fast versagender Stimme heiser geflüsterte wütende Befehle, fand jedoch noch Zeit, den blutbefleckten Verband um seinen Kopf und die heroische Kampfeslust in den wild übereinanderstürzenden Leibern und schmerzenden Gliedern zu genießen. In solchen Augenblicken floss ihm der Mut zu, wie der Wein in der Novemberdämmerung fließt – und er war der ewige Held, der Abenteurer auf dem Bug eines

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