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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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über den aufgeweichten Pfad. Irgendwo aus einem unsichtbaren Fenster rief eine Stimme die unvermeidliche Formel: »Halt den Kopf raus!« Hundert kleine Geräusche aus dem Strom, der unter dem Nebel dahinzog, drangen nach und nach auf ihn ein.
    »O Gott!«, schrie er plötzlich und zuckte vor dem Klang seiner Stimme in der Stille zusammen. Der Regen tröpfelte weiter. Er blieb noch einen Moment liegen, ohne sich zu rühren, die Hände ineinandergeklammert. Dann sprang er auf und klopfte vorsichtig seine Kleider ab.
    »Verdammt, bin ich nass!«, sagte er laut zu der Sonnenuhr.
    [86] Historisches
    Der Krieg begann im Sommer nach seinem Freshman-Jahr. Abgesehen von einem eher sportlichen Interesse an dem deutschen Vorstoß auf Paris, vermochte ihn die ganze Sache weder zu erregen noch zu interessieren. Er erwartete davon dasselbe wie von einem unterhaltsamen Melodram, nämlich, dass es lang und blutig sein würde. Ein schnelles Ende hätte ihn ähnlich erzürnt wie den zahlenden Besucher eines Preisboxkampfes, bei dem die Hauptakteure sich weigerten, den Kampf aufzunehmen.
    Das war seine ganze Reaktion.
    »Ha-Ha Hortense!«
    »O. k., ihr Ballettratten!«
    »Los geht’s!«
    »He, ihr Ballettratten – hört doch mal auf zu würfeln, und schüttelt ein bisschen eure müden Hüften!«
    »He, hallo, Ballettratten!«
    Der Ballettmeister kochte vor hilfloser Wut, während der Präsident des Triangle-Clubs, dem die blanke Angst in den Augen stand, zwischen autoritären Wutausbrüchen und Anfällen nervöser Erschlaffung hin- und herschwankte, in denen er zusammengesunken dasaß und sich fragte, wie zum Teufel die Show jemals bis Weihnachten aufführungsreif werden sollte.
    »Also dann. Wir üben den Piratensong.«
    Die Ballettratten nahmen einen letzten Zug aus ihren [87] Zigaretten und schlurften auf ihre Plätze; die Primaballerina stürzte vor und wedelte affektiert mit Händen und Füßen, um die Stimmung anzuheizen; und während der Trainer sie mit Klatschen, Stampfen, Tamtam und Dadadam begleitete, stümperten sie mühsam einen Tanz zusammen.
    Der Triangle-Club war ein wild wimmelnder Ameisenhaufen. Jedes Jahr führte er ein Musical auf und ging während der Weihnachtsferien mit der gesamten Besetzung, mit Tanzgruppe, Orchester und Kulissen auf Tournee. Text und Musik waren das Werk jüngerer Semester, und der Club selbst war die einflussreichste Institution auf dem Campus; über dreihundert Studenten bewarben sich jedes Jahr um die Aufnahme.
    Amory war nach einem leicht errungenen Sieg im ersten Princetonian- Wettbewerb des Sophomore-Jahres mit der noch unbesetzten Rolle des »Boiling Oil, Leutnant der Piraten« betraut worden. In der vergangenen Woche hatten sie Ha-Ha Hortense! täglich von zwei Uhr nachmittags bis acht Uhr morgens im Casino geprobt, aufrecht gehalten von starkem schwarzem Kaffee und einem vormittäglichen Nickerchen während der Vorlesung. Ein seltsamer Anblick, dieses Casino. Ein großer, scheunenartiger Zuschauerraum, übersät mit Jungen, die als Mädchen oder als Piraten oder als Babys verkleidet waren; soeben wurden die Kulissen in fieberhafter Eile zusammengenagelt; der Beleuchter probte und handelte sich mit seinen irrlichternden Strahlen zornige Blicke ein; das Orchester übertönte alles mit seinen ständigen Stimmproben oder dem fröhlichen Tamtatam eines Triangle-Songs. Irgendwo am Rand steht der Liedtexter, kaut auf seinem Bleistift herum und hat genau zwanzig [88] Minuten Zeit, um sich eine Zugabe auszudenken. Der Geschäftsführer streitet mit dem Sekretär, wie viel Geld für »diese verdammten Milchmädchenkostüme« ausgegeben werden darf; ein betagter Ehemaliger, der 1898 Präsident war, thront auf einer Kiste und denkt, wie viel einfacher es doch zu seiner Zeit zuging.
    Wie eine Show des Triangle je zustande kam, blieb ein ewiges Rätsel, aber das Spannende an dem Rätsel war, ob einer sich genug angestrengt hatte, um das kleine goldene Dreieck auf seiner Uhrkette tragen zu dürfen. Ha-Ha Hortense! wurde sechsmal umgeschrieben und beschäftigte laut Programm neun Koautoren. Alle Triangle-Shows sollten ursprünglich »etwas ganz anderes« werden – »nicht bloß ein gewöhnliches Musical«, doch wenn die verschiedenen Autoren, der Präsident, der Choreograph und der Fakultätsausschuss ihren Senf dazugegeben hatten, entpuppte es sich doch wieder als die gute alte Triangle-Show mit den guten alten Witzen und dem Starkomödianten, der kurz vor der Tournee gefeuert oder krank oder

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