Diesseits vom Paradies
Brentano-Spezialist. D’Invilliers ließ sich gerne ein wenig täuschen und war völlig begeistert. Er hatte sich schon fast damit abgefunden, dass es in Princeton offenbar nur tödliche Spießer oder tödliche Streber gab, und nun jemanden [80] zu finden, der über Keats reden konnte, ohne zu stottern, und sich dennoch offensichtlich die Hände wusch, war ein unerwarteter Genuss. »Je Oscar Wilde gelesen?«, fragte er.
»Nein. Wer hat das geschrieben?«
»Das ist ein Mann – weißt du das nicht?«
»O ja, sicher.« In Amorys Gedächtnis begann etwas zu dämmern. »Handelt nicht diese komische Oper Patience von ihm?«
»Ja genau, das ist er. Ich habe gerade ein Buch von ihm gelesen, Das Bildnis des Dorian Gray, du musst es unbedingt auch lesen. Es wird dir gefallen. Ich kann es dir leihen, wenn du willst.«
»Ja, sehr gern – danke.«
»Willst du nicht mit auf mein Zimmer kommen? Ich habe noch ein paar andere Bücher.«
Amory zögerte, warf einen Blick auf die Gruppe aus St. Paul, in der auch der großartige und höchst gepflegte Humbird saß – und überlegte, wie entscheidend diese neue Freundschaft für ihn sein würde. Es war ihm nie gelungen, schnell Freunde zu gewinnen, und genauso wenig, sie ebenso schnell wieder loszuwerden – dazu war er nicht rücksichtslos genug –, also wog er den zweifellos vorhandenen Reiz und Wert einer Bekanntschaft mit Thomas D’Invilliers gegen den drohenden Blick aus kalten Augen hinter schildpattgefassten Brillengläsern ab, den er vom Nachbartisch auf sich gerichtet fühlte.
»Ja, ich komm mit.«
So kam er zu Dorian Gray und The Mystic and Sombre Dolores und La Belle Dame Sans Merci; einen Monat lang konnte ihn nichts anderes fesseln. Die Welt wurde [81] bleich und anziehend, und er bemühte sich, Princeton mit den übersättigten Augen von Oscar Wilde und Swinburne zu sehen – oder von »Fingal O’Flaherty« und »Algernon Charles«, wie er sie in einer scherzhaften Anwandlung nannte. Er las jeden Abend enorme Mengen – Shaw, Chesterton, Barrie, Pinero, Yeats, Synge, Ernest Dowson, Arthur Symons, Keats, Sudermann, Robert Hugh Benson, die Savoy-Operetten – alles wild durcheinander, denn plötzlich war ihm aufgegangen, dass er seit Jahren nichts gelesen hatte.
Zunächst war Thomas D’Invilliers für ihn eher eine Gelegenheitsbekanntschaft als ein Freund. Amory traf ihn vielleicht einmal in der Woche, und dann strichen sie gemeinsam die Decke von Toms Zimmer golden, schmückten die Wände mit unechter Tapisserie, die sie auf einer Versteigerung erstanden hatten, und statteten den Raum mit großen Kerzenhaltern und gemusterten Vorhängen aus. Amory mochte ihn, weil er klug und literarisch gebildet war, ohne verweichlicht oder geziert zu sein. In Wirklichkeit war Amory der Affektiertere von beiden und bemühte sich krampfhaft, aus jeder Bemerkung ein Epigramm zu machen, was nicht zu den schwierigsten Kunststückchen gehört, wenn man sich mit Pseudoepigrammen zufriedengibt. Univee 12 amüsierte sich. Kerry las Dorian Gray und spielte Lord Henry, indem er Amory überallhin verfolgte, ihn ständig »Dorian« nannte und so tat, als wollte er dessen verderbte Neigungen und seinen Hang zu kultivierter Langeweile herausfordern. Als er dieses Spiel auch in der Mensa fortsetzte, geriet Amory wütend aus der Fassung und trug seine Epigramme fortan nur noch D’Invilliers vor oder einem geeigneten Spiegel.
[82] Eines Tages versuchten Tom und Amory, ihre eigenen und Lord Dunsanys Gedichte zur Musik aus Kerrys Grammophon zu rezitieren.
»Singen!«, schrie Tom. »Nicht rezitieren! Singen!«
Amory, der gerade vortrug, sah verärgert drein und verlangte eine Platte mit weniger Klavier. Daraufhin wälzte sich Kerry am Boden und erstickte fast vor Lachen.
»Leg doch ›Hearts and Flowers‹ auf!«, heulte er. »O Gott, ich mach mir gleich in die Hosen.«
»Stell das verdammte Grammophon ab«, schrie Amory, rot vor Zorn. »Ich geb doch hier keine Vorstellung.«
Unterdessen versuchte Amory vorsichtig, in D’Invilliers ein Gefühl für das gesellschaftliche Wertesystem zu wecken, denn er spürte genau, dass dieser Dichter im Grunde konventioneller war als er selbst, und er brauchte nur etwas Haarwasser, einen weniger anspruchsvollen Konversationsstil und einen dunkleren braunen Hut, um ganz normal auszusehen. Doch sein Loblied auf dunkle Krawatten und Livingstone-Kragen stieß auf taube Ohren, ja D’Invilliers reagierte sogar mit leichtem Unmut auf seine Bemühungen; also
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