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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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oder Fliegerei – Fliegerei klingt natürlich nach der abenteuerlichen Seite des Krieges – so wie früher die Kavallerie; aber wie Amory kann ich keine Pferdestärke von einer Pleuelstange unterscheiden.«
    Irgendwie erreichte Amorys Unzufriedenheit über seinen Mangel an Enthusiasmus seinen Höhepunkt in dem Versuch, die Schuld an dem gesamten Krieg den Vorfahren seiner Generation aufzubürden… all denen, die 1870 Deutschland zugejubelt hatten… All den im Aufstieg begriffenen Materialisten, die deutsche Wissenschaft und Tüchtigkeit vergöttert hatten. So saß er eines Tages in einer Englischvorlesung, als Locksley Hall zitiert wurde und er in tiefe, verachtungsvolle Betrachtungen über Tennyson und alles, wofür er stand, verfiel – denn er sah in ihm einen Vertreter der Viktorianer.
    [223] O Viktorianer, ihr habt zu weinen nicht gelernt,
    Nur gesät eurer Kinder bittere Ernt’ –
    kritzelte Amory in sein Notizbuch. In der Vorlesung wurde etwas über Tennysons Rechtschaffenheit gesagt, und fünfzig Köpfe neigten sich, um mitzuschreiben. Amory nahm eine neue Seite und kritzelte weiter.
    Sie schauderten, als sie erfuhren, was es mit Darwin auf sich hatte,
    Sie schauderten, als der Walzer aufkam und Newman niederging –
    Doch der Walzer kam schon viel früher auf; er strich es durch.
    »Und betitelt Ein Lied in der Zeit der Ordnung «, drang von weit her monoton die Stimme des Professors an sein Ohr. »Zeit der Ordnung« – Du lieber Gott! Alles in die Kiste gestopft, und auf dem Deckel sitzen mit heiterem Lächeln die Viktorianer… Und Browning in seiner italienischen Villa ruft tapfer: »Alles gehört den Besten.« Erneut kratzte Amorys Feder übers Papier.
    Ihr knietet in dem Tempel, und er neigte sich euerm Gebet,
    Ihr danktet ihm für euren »grandiosen Gewinn« und tadeltet ihn für »Cathay«.
    Warum gelang ihm jedes Mal nur ein Zweizeiler? Jetzt brauchte er etwas, das sich hierauf reimte:
    [224] Trotz Wissenschaft hieltet ihr an ihm fest, trotz all seiner Fehler zuvor –
    Wie auch immer…
    Ihr traft eure Kinder zu Hause – »Ich hab für alles gesorgt!«, rieft ihr,
    Nahmt eure fünfzig Jahre Europa, und dann, in allen Ehren – starbt ihr.
    »Dies war weitgehend auch Tennysons Idee«, kam wieder die Stimme des Vortragenden. »Swinburnes Lied in der Zeit der Ordnung hätte ebenso gut Tennysons Titel sein können. Gegen Chaos und Verschwendung hielt er das Idealbild der Ordnung.«
    Endlich hatte Amory es. Er schlug eine neue Seite auf und kritzelte die verbleibenden zwanzig Minuten der Unterrichtsstunde wie ein Wilder. Dann ging er nach vorn zum Pult und legte eine aus seinem Notizbuch gerissene Seite darauf.
    »Hier ist ein Gedicht an die Viktorianer, Sir«, sagte er kalt.
    Der Professor nahm es neugierig auf, während Amory sich rasch in Richtung Tür entfernte.
    Dies hatte er geschrieben:
    Lieder in der Zeit der Ordnung
    Ließt ihr uns, zu singen
    Beweise ohne Mitte
    Antworten aufs Leben, gereimt,
    [225] Schlüssel der Gefängniswächter
    Und alte Glocken, zu läuten
    Die Zeit war das Ende der Rätsel
    Wir waren das Ende der Zeit…
    Hier waren einheimische Meere
    Und ein Himmel, den wir erreichen konnten
    Gewehre und eine bewachte Grenze
    Fehdehandschuhe – doch nicht zum Werfen.
    Tausende alter Gefühle
    Und für jeden eine Platitüde,
    Lieder in der Zeit der Ordnung
    Und Zungen, dass wir sie singen.
    Das Ende vieler Dinge
    Der frühe April glitt in einem Dunstschleier vorbei – im Dunst langer Abende auf der Veranda des Clubs, während drinnen das Grammophon Poor Butterfly spielte… denn Poor Butterfly war das Lied des vergangenen Jahres gewesen. Der Krieg schien sie kaum zu berühren, und es hätte ein ganz normaler Frühling des letzten Studienjahrs sein können wie alle zuvor – abgesehen von dem alle zwei Tage stattfindenden Exerzieren, dennoch kam es Amory bitter zu Bewusstsein, dass dies der letzte Frühling unter dem alten Regime war.
    »Dies ist der große Protest gegen den Übermenschen«, sagte Amory.
    [226] »Vermutlich«, stimmte Alec zu.
    »Er ist absolut unvereinbar mit jeglicher Utopie. Solange es ihn gibt, werden die Schwierigkeiten und all das latente Böse, nach dem es die Menge gelüstet, nicht aufhören.«
    »An sich ist er nichts weiter als ein hochbegabter Mensch ohne Moralgefühl.«
    »Ganz recht, nichts weiter. Ich glaube, der schrecklichste Gedanke dabei ist – dass alles schon mal da gewesen ist, und wie bald wird es wieder geschehen? Fünfzig Jahre nach

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