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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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genoss den Anblick ihrer Wangen, auf denen weich der Tau des frühen Morgens schimmerte. Sie war sehr fromm, war es immer gewesen, und Gott allein weiß, zu welchen Höhen sie gelangte und welche Kraft sie daraus bezog, wenn sie dort kniete und ihr goldenes Haar ins Licht der farbigen Glasscheiben tauchte.
    »Heilige Cäcilia!«, rief er, völlig unbeabsichtigt, eines Tages aus, und die Leute drehten sich um und starrten sie [214] beide an, der Priester unterbrach seine Predigt, und Clara und Amory wurden flammend rot.
    Dies war ihr letzter gemeinsamer Sonntag, denn am gleichen Abend zerstörte er alles. Er konnte nicht anders.
    Sie spazierten durch die Märzdämmerung, die so lind war wie im Juni, und das Gefühl des Jungseins machte ihn so froh in der Seele, dass er unbedingt etwas sagen musste.
    »Weißt du, was ich denke?«, sagte er mit zitternder Stimme. »Wenn ich den Glauben an dich verliere, dann verliere ich auch den Glauben an Gott.«
    Sie sah ihn so erschrocken an, dass er sie nach dem Grund fragte.
    »Nichts«, sagte sie langsam, »außer dass mir das schon fünf Männer gesagt haben, und das macht mir Angst.«
    »O Clara, ist das dein Schicksal?«
    Sie gab keine Antwort.
    »Liebe ist für dich wohl –«, begann er.
    Sie wandte sich blitzschnell um. »Ich bin niemals verliebt gewesen.«
    Sie gingen weiter, und langsam wurde ihm bewusst, wie viel sie ihm offenbart hatte… niemals verliebt… Plötzlich schien sie ganz Tochter des Lichts zu sein. Sein ganzes Wesen zog sich aus ihrem Strahlkreis zurück, und es verlangte ihn nur noch, ihr Kleid zu berühren, mit ähnlich klarer Erkenntnis, wie Joseph sie von Marias ewiger Bedeutung gehabt haben muss. Fast automatisch hörte er sich sagen: »Und ich liebe dich – alles, was an Größe in mir steckt, ist… Ach, ich kann jetzt nicht sprechen, aber wenn ich in zwei Jahren wiederkomme, Clara, und in der Lage bin, dich zu heiraten…«
    [215] Sie schüttelte den Kopf.
    »Nein«, sagte sie. »Ich werde nie wieder heiraten. Ich habe meine beiden Kinder, und ich möchte ganz für sie da sein. Ich mag dich – ich mag alle klugen Männer, und dich mehr als jeden anderen –, aber du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich niemals einen klugen Mann heiraten würde…« Sie brach unvermittelt ab.
    »Amory?«
    »Was ist?«
    »Du bist nicht in mich verliebt. Du hattest nie vor, mich zu heiraten, oder?«
    »Es war die Dämmerung«, sagte er verwundert. »Ich hatte gar nicht das Gefühl, laut zu sprechen. Aber ich liebe dich – oder bete dich an – oder verehre dich…«
    »Da hast du es – du gehst in fünf Sekunden deinen ganzen Gefühlskatalog durch.«
    Er lächelte gezwungen.
    »Stell mich nicht als so leichtfertig hin, Clara; du bist manchmal sehr niederdrückend.«
    »Du bist nicht leichtfertig, vor allem das nicht«, sagte sie ernst, nahm seinen Arm und schaute ihn aus weitgeöffneten Augen an – er konnte ihren freundlichen Ausdruck in der schwindenden Dämmerung sehen. »Leichtfertigkeit ist ein ewiges Nein ans Leben.«
    »So viel Frühling in der Luft – und so viel schwere Süße in deinem Herzen.«
    Sie ließ seinen Arm los.
    »Jetzt bist du wieder in Ordnung, und ich fühl mich großartig. Gib mir eine Zigarette. Du hast mich noch nie rauchen sehen, oder? Ich tu’s vielleicht einmal im Monat.«
    [216] Und dann rasten das wunderbare Mädchen und Amory bis zur Ecke wie zwei wildgewordene Kinder, denen das blassblaue Zwielicht zu Kopf gestiegen ist.
    »Morgen fahre ich für einen Tag aufs Land«, verkündete sie, als sie keuchend stehenblieb, sich im flimmernden Lichtschein des Laternenpfahls an der Ecke in Sicherheit wiegend. »Diese Tage sind einfach zu herrlich, um sie ungenutzt dahingehen zu lassen, obwohl ich sie in der Stadt vielleicht sogar stärker empfinde.«
    »O Clara!«, sagte Amory. »Was für ein Teufel wäre aus dir geworden, wenn der liebe Gott deine Seele nur ein wenig in die andere Richtung gelenkt hätte!«
    »Vielleicht«, antwortete sie, »aber ich glaube es nicht. Ich bin nie wirklich wild und bin es niemals gewesen. Der kleine Ausbruch eben war nur der Frühling.«
    »Und du bist es auch«, sagte er.
    Sie waren mittlerweile weitergegangen.
    »Nein – schon wieder falsch; wie kann jemand, der sich so viel auf seinen scharfen Verstand einbildet wie du, mich dauernd so falsch einschätzen? Ich bin das Gegenteil all dessen, was Frühling heißt. Es ist ein bedauerlicher Irrtum, wenn ich zufällig so aussehe, wie es den

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