Diesseits vom Paradies
Amory Blaine sein, den ich kannte, niemals mehr werden wir uns so begegnen wie früher, weil Deine Generation nun hart wird, viel härter, als [232] meine es je werden konnte, die aus dem Stoff der neunziger Jahre gemacht ist.
Amory, vor kurzem habe ich wieder Aischylos zur Hand genommen, und dort, in der göttlichen Ironie des Agamemnon, finde ich die einzige Antwort auf diese bittere Zeit – die ganze Welt ist über uns zusammengebrochen, und die nächste Parallele reicht zurück in diese Zeit der hoffnungslosen Resignation. Manchmal stelle ich mir die Männer da draußen wie römische Legionäre vor, Meilen entfernt von ihrer korrupten Stadt, wie sie die feindlichen Horden zurückwerfen… Horden, die immerhin noch bedrohlicher sind als die korrupte Stadt… ein weiterer blindwütiger Schlag gegen die Rasse, Tollheiten, die wir unter Beifallsstürmen schon vor Jahren durchlebt haben, auf deren Leichen wir mit Triumphgeheul die ganze viktorianische Ära überdauerten…
Und danach eine durch und durch materialistische Welt – und die katholische Kirche. Ich frage mich, wo Du wohl Deinen Platz finden wirst. In einem bin ich mir sicher – Du bist als Kelte geboren und wirst als Kelte sterben; wenn Du also nicht fortwährend Deine Entscheidungen dem Himmel anheimstellst, dann wird Dir eben die Erde eine fortwährende Antwort auf Deine ehrgeizigen Pläne sein.
Amory, mit einem Mal habe ich entdeckt, dass ich ein alter Mann bin. Wie alle alten Männer habe ich manchmal Träume, und ich will Dir davon erzählen. Ich habe die Vorstellung gehegt, Du seist mein Sohn – dass ich vielleicht irgendwann in meiner Jugend in ein Koma fiel und Dich zeugte, ohne mich daran zu erinnern, als ich wieder [233] zu mir kam… das ist der väterliche Instinkt, Amory – der Zölibat geht tiefer als das Fleisch…
Manchmal denke ich, dass vielleicht ein gemeinsamer Vorfahre schuld ist an unserer tiefen Ähnlichkeit, aber soweit ich sehe, ist das einzige Blut, das die Darcys und die O’Haras gemeinsam haben, das der O’Donahues… Stephen hieß er, glaube ich…
Wenn der Blitz einen von uns trifft, dann trifft er beide; Du hattest kaum den Einschiffungshafen erreicht, als ich die Genehmigung erhielt, nach Rom zu reisen, und ich erwarte jeden Augenblick die Nachricht, wo mein Schiff abgeht. Noch bevor Du diesen Brief erhältst, werde ich auf dem Ozean sein; dann bist Du an der Reihe. Du bist in den Krieg gegangen, wie es sich für einen Gentleman gehört, wie Du auch in die Schule und aufs College gegangen bist, weil man es eben tut. Die stolzgeschwellte Brust und den prahlerischen Heldenmut überlassen wir besser der Mittelschicht; sie kann es so viel besser.
Erinnerst Du Dich an das Wochenende im vergangenen März, als Du Burne Holiday zu mir mitbrachtest? Was war das für ein prächtiger Bursche! Es hat mir einen Schock versetzt, als Du mir schriebst, dass er mich für »grandios« hielt. Wie kann er sich so täuschen? »Grandios« ist etwas, was wir beide nicht sind. Wir sind vieles andere – wir sind außergewöhnlich, wir sind klug, man könnte vielleicht sogar sagen, dass wir brillant sind. Wir können Menschen bezaubern, eine Atmosphäre schaffen, wir können unsere keltische Seele beinahe in keltischen Spitzfindigkeiten begraben, wir bekommen fast immer unseren Willen; aber grandios – das wohl nicht!
[234] Für Rom bin ich mit einem wundervollen Dossier gerüstet sowie mit Empfehlungsschreiben, die für jede Hauptstadt Europas ausreichen würden, und werde dort wohl »ordentlich Furore machen«. Wie sehr wünschte ich mir, Du könntest bei mir sein! Das klingt wie eine recht zynische Bemerkung und ist sicher nicht das, was ein Geistlicher mittleren Alters an einen jungen Mann schreiben sollte, der gerade in den Krieg zieht; die einzige Entschuldigung hierfür ist, dass der Geistliche mittleren Alters Selbstgespräche führt. In uns liegen tiefe Dinge verborgen, die Du so gut kennst wie ich. Wir haben großen Glauben, wenn auch Deiner bisher noch ungeformt ist; wir sind von einer schrecklichen Aufrichtigkeit, die all unsere Sophisterei nicht zerstören kann, und vor allem sind wir von einer kindlichen Schlichtheit, die uns davor bewahrt, jemals wirklich böswillig zu handeln.
Ich habe einen irischen Klagegesang für Dich geschrieben, den ich beifüge. Es tut mir leid, dass Deine Wangen nicht ganz meiner Beschreibung entsprechen, aber Du musst ja unbedingt rauchen und nächtelang lesen…
Wie auch immer, hier ist
Weitere Kostenlose Bücher