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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Waterloo war Napoleon für die englischen Schulkinder genauso ein Held wie Wellington. Wie können wir wissen, ob nicht unsere Enkel Hindenburg ebenso vergöttern werden?«
    »Aber was macht das möglich?«
    »Die Zeit, verdammt noch mal, und die Historiker. Wenn wir nur endlich lernten, das Böse als Böses zu betrachten, egal, ob es in abstoßender oder nichtssagender oder prächtiger Gestalt auftritt.«
    »Mein Gott! Sind wir in den letzten vier Jahren nicht scharf genug mit dem Universum ins Gericht gegangen?«
    Dann kam die Nacht, welche die unwiderruflich letzte sein sollte. Tom und Amory würden am nächsten Morgen in verschiedene Ausbildungslager aufbrechen und wanderten nun noch einmal die schattigen Pfade entlang, wie sie es so oft getan hatten, und sie glaubten die Gesichter all der Leute, die sie gekannt hatten, um sich her zu sehen.
    »Das Gras ist heute Nacht voller Geister.«
    »Der ganze Campus wimmelt von ihnen.«
    Sie blieben beim Little stehen und sahen dem aufgehenden Mond zu, der das Schieferdach vom Dodd in silbernes und die raschelnden Bäume in bläuliches Licht tauchte.
    [227] »Weißt du was«, flüsterte Tom, »was wir jetzt empfinden, birgt alles, was in den letzten zweihundert Jahren an großartiger Jugend hier in Saus und Braus gelebt hat.«
    Zum letzten Mal brach ein Singen aus und flutete vom Blair Arch zu ihnen herüber – gebrochene Stimmen zu einem langen Abschied.
    »Und was wir hier zurücklassen, ist mehr als nur dieser Jahrgang; es ist das ganze Erbe der Jugend. Wir sind nur eine Generation – und wir brechen alle Verbindung ab zu dem, was uns hier scheinbar an die Generationen von Stulpenstiefeln und langen Strümpfen gebunden hat. Wir sind Arm in Arm mit Burr und ›Light-Horse‹ Harry Lee durch all diese tiefblauen Nächte gegangen.«
    »Das sind sie wirklich«, schweifte Tom ab, »tiefblau – die kleinste Spur von Farbe würde sie verderben, sie bizarr machen. Turmspitzen, vor einem Himmel, der die Morgendämmerung verheißt, und die Schieferdächer im blauen Licht – es schmerzt… beinahe…«
    »Adieu, Aaron Burr«, rief Amory der einsam daliegenden Nassau Hall zu, »du und ich, wir kannten seltsame Winkel dieses Lebens.«
    Seine Stimme hallte in der Stille nach.
    »Die Fackeln sind gelöscht«, flüsterte Tom, »ah, Messalina, die langen Schatten formen Minarette auf dem Stadion…«
    Einen Augenblick lang umwogten sie die Stimmen aus ihrem Freshman-Jahr, und als sie sich ansahen, schimmerten Tränen in ihren Augen.
    »Verdammt!«
    »Verdammt!«
    [228] Das letzte Licht verblasst und schwebt überm Land – dem niedrigen, weiten Land, dem sonnigen Land der Turmspitzen; die Geister des Abends stimmen wieder ihre Leiern und ziehen singend als schwermütige Musikanten die langen Alleen entlang; schwache Feuer antworten als Echo auf die Nacht von Turm zu Turm: O Schlaf, der träumt, und Traum, der niemals endet, presst aus den Blütenblättern dieser Lotosblume etwas, das man behalten könnte, das Kostbarste einer Stunde.
    Nicht mehr zu warten auf das Mondzwielicht in diesem abgeschiedenen Tal von Stern und Spitze, denn ein ewiger Morgen der Begierde vergeht und wird zum irdischen Nachmittag. Hier, Heraklit, fandest du in Feuer und Strömendem die Prophezeiung, die du auf die vergangenen Zeiten herabschleudertest; in dieser Mitternacht wird mein Verlangen sehen, verborgen unter der schwelenden Glut, gebündelt in der Flamme: den Glanz und die Traurigkeit der Welt.

[229] Zwischenspiel
    Mai 1917 – Februar 1919

[231] Ein Brief, datiert vom Januar 1918, geschrieben von Monsignore Darcy an Amory, z. Zt. Leutnant bei der 171sten Infanterie, Einschiffungshafen Camp Mills, Long Island.
    Mein lieber Junge,
    nichts weiter will ich von Dir hören, als dass es Dich noch gibt; für alles Übrige brauche ich nur in einem rastlosen Gedächtnis nachzuforschen, einem Thermometer, das nur Fieber verzeichnet, und daran zu denken, wie ich in Deinem Alter war. Doch die Menschen werden weiter schwatzen, und Du und ich werden uns noch immer unsere Nichtigkeiten über die Bühne hinweg zuschreien, bis der letzte närrische Vorhang uns plumps! auf unsere wackelnden Köpfe fällt. Doch beginnst Du die verworrene Laterna-magica-Schau des Lebens fast mit derselben Reihenfolge von Lichtbildern, wie ich es tat – so muss ich Dir einfach schreiben, und sei es nur, um über die kolossale Dummheit der Leute zu lamentieren…
    Eines ist nun vorbei: Ob gut oder schlecht, Du wirst niemals mehr der

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