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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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kennengelernt hatte – wo die Diener so aufdringlich waren, dass man sie förmlich aus dem Weg schieben musste – oder auch in den Häusern der eher konservativen Union-Club-Familien. Er fragte sich, ob diese Atmosphäre ausgewogener Zurückhaltung, diese Anmut, hinter der er europäischen Einfluss vermutete, wohl von Mrs. Lawrence’ Vorfahren aus Neuengland ererbt war oder durch langen Aufenthalt in Italien und Spanien erworben.
    Zwei Gläser Sauterne zum Lunch lösten seine Zunge, und er sprach, wobei er etwas von seinem alten Charme in sich verspürte, über Religion und Literatur und die bedrohlichen Erscheinungen in der gesellschaftlichen Ordnung. Mrs. Lawrence fand ganz offensichtlich Gefallen an ihm, ihr Interesse galt vor allem seinem Verstand; und ihm lag daran, dass die Leute seinen Verstand wieder schätzten – nach einer Weile ließ es sich an solch einem Ort vielleicht ganz nett leben.
    »Monsignore Darcy denkt noch immer, dass Sie seine Reinkarnation seien und dass sich Ihr Glaube noch einmal läutern werde.«
    »Möglich«, pflichtete er bei. »Zurzeit bin ich allerdings eher heidnisch. In meinem Alter scheint Religion nicht die geringste Bedeutung für das Leben zu haben.«
    [305] Nach Verlassen ihres Hauses ging er mit einem Gefühl innerer Befriedigung den Riverside Drive hinunter. Es war amüsant, wieder einmal über Themen zu diskutieren wie diesen jungen Dichter Stephen Vincent Benét oder über die irische Republik. Über all den widerlichen Beschuldigungen gegen Edward Carson und Justice Cohalan war er der irischen Frage vollständig überdrüssig geworden; dennoch hatte es eine Zeit gegeben, in der seine eigenen keltischen Charakterzüge Stützpfeiler seiner persönlichen Philosophie waren.
    Auf einmal schien es wieder Lohnendes im Leben zu geben, wenn nur dieses Wiedererwachen alter Interessen nicht bedeutete, dass er sich aufs Neue zurückzog – sich vom Leben selbst zurückzog.
    Rastlosigkeit
    »Ich bin très alt und très gelangweilt, Tom«, sagte Amory eines Tages und räkelte sich auf dem gemütlichen Fenstersitz. In liegender Haltung fühlte er sich immer am wohlsten.
    »Du warst eigentlich ganz unterhaltsam, bevor du mit dem Schreiben angefangen hast«, fuhr er fort. »Jetzt behältst du alle Ideen für dich, die deiner Meinung nach druckreif sein könnten.«
    Das Leben verlief wieder in ehrgeizlosen, normalen Bahnen. Sie hatten entschieden, dass sie bei sparsamem Wirtschaften das Apartment behalten konnten, an dem Tom mittlerweile mit der Häuslichkeit eines ältlichen Katers hing. Die alten englischen Jagddrucke an der Wand waren [306] von Tom, und der große Wandteppich – eine Leihgabe, die an ihre dekadente Zeit im College erinnerte – und die verschwenderische Fülle verwaister Kerzenhalter und der geschnitzte Louis- XV -Stuhl, in dem niemand länger als eine Minute ohne heftige Rückenbeschwerden sitzen konnte – Tom behauptete, es sei darum, weil man dem Geist von Montespan auf dem Schoß sitze –, jedenfalls war es Toms Einrichtung, die sie zum Bleiben bewog.
    Sie gingen nur selten aus: gelegentlich ins Theater oder zum Dinner im Ritz oder Princeton-Club. Durch die Prohibition war den großen Rendezvous ein Schlussstrich gesetzt; man konnte nicht mehr um zwölf oder um fünf in die Biltmore-Bar gehen und dort gleichgesinnte Geister treffen, und sowohl Tom wie Amory waren der Leidenschaft für Tänze mit Debütantinnen aus dem Mittleren Westen oder New Jersey entwachsen, wie sie im Club de Vingt (dessen Spitzname »Club de Gink« war) oder im Rosensaal des Plaza stattfanden – außerdem waren selbst hier einige Cocktails nötig, um »sich auf das intellektuelle Niveau der anwesenden Damen herunterzuschrauben«, wie Amory es einmal einer schockierten älteren Dame gegenüber ausgedrückt hatte.
    Amory hatte in letzter Zeit einige beunruhigende Briefe von Mr. Barton erhalten – das Haus in Lake Geneva war zu groß, als dass es sich mühelos vermieten ließ; die höchste augenblicklich zu erzielende Miete würde in diesem Jahr gerade für Steuern und notwendige Renovierungsarbeiten ausreichen; tatsächlich deutete der Anwalt an, dass der ganze Besitz Amory nur ein Klotz am Bein sei. Dennoch, obwohl es vermutlich in den nächsten drei Jahren keinen [307] Cent abwerfen würde, entschied Amory in einer sentimentalen Anwandlung, das Haus fürs Erste jedenfalls nicht zu verkaufen.
    Dieser Tag, an dem er Tom seinen Ennui gestanden hatte, war ganz typisch verlaufen. Er war

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