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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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und entblößte seine Schultern.
    »Schau mal hier!«
    Tom pfiff leise durch die Zähne.
    »Was hat dich denn da erwischt?«
    Wieder lachte Amory.
    »Ach, ’ne Menge Leute. Bin zusammengeschlagen worden. Tatsache.« Langsam zog er sein Hemd wieder an. »Früher oder später musste es so kommen, und ich hätt’s mir um nichts in der Welt entgehen lassen.«
    »Wer war es?«
    »Ein paar Kellner waren dabei, und einige Matrosen, und ein paar Passanten, nehm ich an. Es ist ein höchst seltsames Gefühl. Du solltest dich mal zusammenschlagen lassen, nur um die Erfahrung zu machen. Nach einer Weile kannst du dich nicht mehr auf den Beinen halten, und jeder verpasst dir schnell noch einen Schlag, bevor du am Boden liegst – und dann treten sie dich.«
    Tom zündete eine Zigarette an.
    »Ich bin einen Tag lang in der ganzen Stadt hinter dir hergejagt, Amory. Aber du warst mir immer ein Stück voraus. Ich würde sagen, du warst auf ’ner Art Party.«
    Amory ließ sich in einen Sessel fallen und bat um eine Zigarette.
    »Bist du jetzt wieder nüchtern?«, fragte Tom spöttisch.
    »Ziemlich nüchtern. Wieso?«
    »Alec ist ausgezogen. Seine Familie hat ihm zugesetzt, er soll heimkommen und bei ihnen wohnen, und er…«
    Ein krampfhafter Schmerz durchzuckte Amory.
    [299] »Zu dumm.«
    »Ja, es ist wirklich zu dumm. Wir werden jemand anderen suchen müssen, wenn wir die Wohnung halten wollen. Die Mieten steigen.«
    »Sicher. Such jemanden. Ich überlass es dir, Tom.«
    Amory ging in sein Schlafzimmer. Als Erstes fiel sein Blick auf eine Fotografie von Rosalind, die er rahmen lassen wollte und vorläufig auf seinem Toilettentisch gegen den Spiegel gelehnt hatte. Er betrachtete sie unbewegt. Neben den lebhaften Bildern in seinem Kopf, in denen er sie leibhaftig vor sich sah, war das Porträt seltsam unwirklich.
    Er ging zurück ins Arbeitszimmer.
    »Hast du einen Pappkarton?«
    »Nein«, erwiderte Tom erstaunt. »Wieso sollte ich? Halt, ja – vielleicht ist einer in Alecs Zimmer.«
    Schließlich fand Amory, wonach er suchte, kehrte zu seinem Toilettentisch zurück und öffnete eine Schublade, die mit Briefen, Zetteln, dem Teil einer Kette, zwei kleinen Taschentüchern und einigen Schnappschüssen gefüllt war. Während er alles sorgfältig in den Karton packte, wanderten seine Gedanken zu einer Stelle in einem Buch, an welcher der Held, nachdem er ein Jahr lang ein Stück Seife seiner verlorenen Liebsten aufbewahrt hatte, sich schließlich die Hände damit wusch. Er lachte und begann After you’ve gone zu summen… hörte abrupt auf…
    Die Schnur riss zweimal, dann schaffte er es endlich, sie sicher zu knoten, ließ das Paket auf den Boden seiner Truhe fallen, knallte den Deckel zu und kehrte ins Arbeitszimmer zurück.
    [300] »Gehst du aus?« In Toms Stimme schwang ein besorgter Unterton mit.
    »Hm – hm.«
    »Wohin?«
    »Schwer zu sagen, alter Junge.«
    »Essen wir zusammen zu Abend.«
    »Tut mir leid. Ich bin mit Sukey Brett zum Essen verabredet.«
    »Oh.«
    »Tschüs.«
    Amory überquerte die Straße und trank einen Highball; dann spazierte er zum Washington Square und fand einen Sitzplatz im Oberstock des Busses. Er stieg an der Dreiundvierzigsten Straße aus und schlenderte zur Biltmore-Bar.
    »Hallo, Amory!«
    »Was kriegst du?«
    »Juhu! Kellner!«
    Temperatur normal
    Mit dem 1. Juli 1919, dem »Einunddreißigsten«, setzte der Beginn der Prohibition Amorys Bemühungen, seinen Kummer zu ersäufen, ein jähes Ende, und als er eines Morgens mit der Erkenntnis erwachte, dass die guten alten »von Bar zu Bar«-Tage vorbei waren, empfand er weder Reue über die vergangenen drei Wochen noch Bedauern über ihre Unwiederholbarkeit. Er hatte sich auf die gewaltsamste, wenn auch schwächlichste Weise vor der peinigenden Erinnerung zu schützen gesucht, und wenn dies auch nicht die Methode [301] war, die er anderen zur Nachahmung empfohlen hätte, so hatte sie für ihn jedenfalls ihren Zweck erfüllt: Er war über den ersten Ansturm von Schmerz hinweg.
    Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Amory hatte Rosalind geliebt, wie er nie wieder ein anderes menschliches Wesen lieben würde. Sie hatte die erste Glut seiner Jugend genommen und aus seinen unerforschten Tiefen eine ihn selbst überraschende Zärtlichkeit, eine Sanftheit und Selbstlosigkeit, wie er sie niemals einem anderen Wesen gegenüber verströmt hatte, ans Licht gebracht. Später hatte er wohl Liebesaffären, doch von ganz anderer Art: Er verfiel wieder in die

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