Dietz, William C. - Mass Effect 4 - Blendwerk
der ihr einen solchen Namen gegeben hatte. Abgesehen natürlich von Kahlee war er die einzige Person gewesen, mit der sie hatte frei sprechen können. Das war für gewöhnlich in Schüben geschehen, gefolgt von langen Zeiten des Schweigens, in denen Grayson neben ihr gesessen und gewartet hatte. Bei diesen Gelegenheiten war er stets gut gekleidet gewesen, dabei jedoch so hager, als stünde er kurz vor dem Verhungern.
Gillians rechte Hand wanderte zu dem grünen Edelstein, den sie um den Hals trug. Das Geschenk ihres Vaters hatte sie erhalten, kurz bevor sie die Akademie verließ. Die Handschrift auf der Karte war etwas zittrig. „Liebe Gigi“, stand darauf, „etwas Schönes für ein schönes Mädchen. In Liebe, dein Vater.“
Grayson war nicht ihr richtiger Vater, doch hatte er sie geliebt wie eine leibliche Tochter. Das bedeutete ihr viel, so viel, dass sie sich verpflichtet fühlte, zu tun, was eine gute Tochter tun sollte: Rache nehmen für seinen Tod. Das Problem war nur, dass sie die Person, die dafür verantwortlich war, nicht leicht ausfindig machen konnte.
Mittlerweile war die Tasse kalt, aber Gillian hatte sich aufgewärmt und war bereit, den nächsten Schritt auf dem Weg zurückzulegen, den sie nun einmal eingeschlagen hatte. Neuer Elan beseelte sie, als sie aufstand, die Tasse zurückbrachte und sich zum Afterlife aufmachte.
Es gab viele Gründe, Angst zu haben. Einen dieser Gründe hätten ihre weltlicher veranlagten Kameraden an der Akademie als dumm abgetan: Gillian war noch nie in einem Nachtclub gewesen. Dem Ruf des Afterlife zufolge fanden dort all die Dinge statt, vor denen Kahlee und Hendel sie stets gewarnt hatten. Außerdem wusste Gillian nicht, wie man sich an einem solchen Ort verhielt. Auch dort gab es sicherlich Regeln, ebenso wie auf den Straßen von Omega. Doch welche Regeln waren das?
Diese Unsicherheit war schon schlimm genug. Was die Situation jedoch noch weiter erschwerte, war der Grund ihrer Mission. Sie musste davon ausgehen, dass eine Frau wie T’Loak von vielen Leibwächtern umgeben war. Wie sollte Gillian sie umgehen? Diese Frage beschäftigte sie noch immer, als sie vor dem Nachtclub eintraf.
Der Bürgersteig vor dem Lokal war dicht bevölkert. Einige Leute gingen in den Club hinein, andere kamen heraus, und manche standen herum und unterhielten sich oder rauchten eine Zigarette. Wie überall auf Omega wirkte die Anwesenheit so vieler Leute wie ein Magnet auf alle möglichen Verkäufer, Straßenkünstler und Kleinkriminelle. Letztere wurden rasch von T’Loaks uniformierten Söldnern erkannt und fortgejagt.
All ihren Mut zusammennehmend, straffte Gillian die Schultern und ging auf den Eingang des Clubs zu. Sie trug ihre beste Kleidung, eine hüftlange rote Jacke, einen breiten Gürtel und eine graue Hose. Das war weniger als nichts verglichen mit der Bekleidung der anderen Frauen, die sie hier sah, aber eben das Beste, was sie hatte.
Zwei riesige Kroganer standen zu beiden Seiten des Eingangs. Sie beobachteten Gillian aufmerksam, als sie zwischen ihnen hindurchging, trafen jedoch keine Anstalten, sie aufzuhalten. Sie trat durch den Waffendetektor und fand sich auf der Hauptebene wieder. Tanzmusik dröhnte in ihren Ohren, der Geruch von künstlich aromatisiertem Tabak erfüllte die Luft, und das Licht war gedämpft.
Gillian war unsicher, wohin sie sich wenden sollte. Also blieb sie stehen, um sich zu orientieren. In der Mitte des Raums erhob sich eine Bühne, auf der drei Asaritänzerinnen sich lasziv zur Musik bewegten. Sie waren schön, fast nackt und schienen eine beinahe hypnotische Wirkung auf die wenigen männlichen Clubbesucher auszuüben, die ihnen zuschauten. Gillian hatte so etwas noch nie gesehen. Sie fand das Ganze faszinierend und zugleich auch peinlich und konnte sich nicht vorstellen, das zu tun, was die drei Asari da taten. Dass der größte Teil der Clubbesucher den Tänzerinnen keinerlei Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ, überraschte sie. Viele der um die Bar Versammelten, die die Bühne umgab, unterhielten sich, statt auf die Tänzerinnen zu achten. Sich weiter umschauend bemerkte Gillian, dass es noch weitere Künstler gab, die auf einem ringähnlichen Gebilde tanzten, das von der Decke auf die zweite Ebene hinabreichte. „Möchten Sie etwas trinken?“
Gillian wandte sich um und sah sich einer Kellnerin gegenüber, die einen halben Meter entfernt vor ihr stand. Die Asari trug ein leicht durchsichtiges Top, einen kurzen Rock und hochhackige
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