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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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wäre? Nur weil ich Mary Wooler kenne?«
    »Ja, zum Teil. Und weil Sie mit einer SS-Unterscharführerin schlafen.«
    Er spürte, wie sein Blut in Wallung geriet. »Sie wissen darüber Bescheid, was?«
    »Sie sind nicht gerade diskret. Und Ihre Freundin ebenso wenig. Sie prahlt damit herum!«
    »Und was hat Julia damit zu tun?«
    »Sie ist eine enge Mitarbeiterin von SS-Standartenführer Josef Trojan. Und der ist an Experimenten in Richborough beteiligt. Experimenten, für die er aus irgendeinem Grund Kamen braucht.«
    »Was für Experimente?«

    »Ich weiß es nicht«, sagte sie schlicht.
    »Und Sie wollen, dass ich Julia irgendwie täusche, damit ihr an Trojan und Kamen herankommt. Ist es so?«
    »Im Großen und Ganzen. Haben Sie damit ein moralisches Problem?« Sie lachte. »Ich meine, Sie schlafen mit einer SS-Offizierin!«
    »Was ist das – Erpressung?«
    »Nein, nein. Ich versuche nur, es zu verstehen.«
    »Ich behaupte nicht mal, dass ich es selbst verstehe«, gab er zu. »Nennen Sie’s Lust, wenn Sie wollen. Muss sagen, ich dachte, ich wäre über all das hinweg.«
    »Vielleicht liegt’s an der Uniform«, sagte sie schelmisch. »Und was will sie ? Ich meine, sie hätte die freie Auswahl unter jungen SS-Offizieren mit eisernen Muskeln, oder nicht? Das soll keine Beleidigung sein, aber …«
    »Ich glaube, auch sie hat etwas verloren«, sagte er. »Sie hat ihre Seele verloren, als sie sich mit diesen verdammten Deutschen eingelassen hat. Ihre englische Seele. Also ist sie mit mir zusammen. Ich meine, was Englischeres als einen Bobby gibt’s nicht, oder?«
    »Sie sind ein anständiger Mensch, Sergeant«, sagte Doris. »Wenn ich das erkenne, dann sie bestimmt auch.«
    »Am besten, man redet keinen solchen Unsinn.«
    »Na schön. Aber die Frage ist, werden Sie uns helfen?«
    »Ich weiß nicht. Ihr Clowns von den Hilfstruppen …«

    »Also, wenn Sie’s nicht für Mary tun wollen – und für mich werden Sie’s ganz bestimmt nicht tun –, wie wär’s, wenn Sie um Hildas Andenken willen darüber nachdächten?«
    George merkte, wie er die Fäuste ballte. »Verdammt noch mal, reden Sie ja nicht von Hilda!«

XVI
    Schließlich war es weit nach elf, als Ernst beim Royal Victoria Hotel etwas außerhalb des Stadtzentrums in St. Leonards eintraf. Und sie kam noch später.
    Er hatte einen Tisch im Restaurant reserviert, und er nahm Platz und wartete unsicher. Ein öliger Kellner kam herbei, um seine Bestellung aufzunehmen. Er sprach flüssig Deutsch. Ernst verlangte eine Flasche französischen Wein, denn er dachte, das würde Claudine gefallen. Der Kellner brachte ihm eine Weinkarte  – die Preise waren in Reichsmark und Pfund Sterling angegeben –, und Ernst suchte sich mehr oder weniger aufs Geratewohl eine Flasche aus.
    Unter den Gästen waren zahlreiche Uniformierte, die meisten von höherem Rang als er, und ein paar Zivilisten, vielleicht Geschäftsleute, die gekommen waren, um die Investitionsmöglichkeiten zu prüfen, die, wie das Reich beharrlich behauptete, hier im Protektorat zu finden wären. Sie alle ignorierten seelenruhig die Sperrstundenverordnung, die weniger bedeutende Leute einschränkte. Ein Zivilist saß allein am Nebentisch, trank Brandy und las die deutschsprachige Ausgabe der Albion Times . Jedermann sprach deutsch, einschließlich des Personals, obwohl Ernst
hin und wieder einen deutlichen englischen Akzent heraushörte. Briten mit Geld, die sich ungeniert unter ihre Bezwinger mischten.
    Und dann kam sie herein und stolzierte mit wiegenden Hüften am polierten Holz der Hotelbar vorbei, als gehöre ihr der Laden und als gebe es auch für sie keine Sperrstunde. Sie trug ein eng anliegendes Kleid und Seidenstrümpfe, wie es schien, knallrote Stöckelschuhe, eine graublaue Jacke und einen kleinen Schlapphut, den sie in kokettem Winkel aufgesetzt hatte. Ihre Lippen, rot wie ihre Schuhe, überstrahlten alles andere im Raum. Sie zog die verstohlenen – und alles andere als verstohlenen – Blicke jedes anwesenden Mannes auf sich. Aber sie kam schnurstracks auf Ernst zu.
    Er stand auf, als sie näher kam. »Ich kann nicht glauben, dass du hier bist … Ich meine …«
    »Ich weiß.« Sie beugte sich über den Tisch und erlaubte ihm, sie auf die Wangen zu küssen.
    Er roch Parfüm und Gesichtspuder, einen Geruch, der rein gar nichts mit der Lehrerin zu tun hatte, die er in Boulogne gekannt hatte, aber darunter war etwas anderes, ein tieferer, animalischer Duft, den er nie vergessen hatte.

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