Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
herunterzufahren.
    Heinz lehnte sich aus dem Wagen und versuchte, nach vorn zu schauen. »Was meinst du, was das war, eine Woolworth-Bombe?« Eine Spezialität der Hilfstruppen, etwas Gelatinedynamit in einer Keksdose.
    »Könnte sein.«
    »Verdammte Hilfstruppen. Jetzt stehen wir vielleicht stundenlang hier rum, während sie die Gräben absuchen.« Heinz wartete darauf, dass er vorwärtsfahren konnte, und zog ein zerknülltes Päckchen Zigaretten aus seiner Westentasche. Es waren Camels, eine amerikanische Marke, und Ernst fragte sich, wo er die herhatte. »Auch eine?« Ernst nahm eine Zigarette und steckte sie sich hinters Ohr. Heinz drehte sich
zu den Kindern um und lächelte gezwungen. »You ?«, fragte er.
    Alfie, immer noch nervös, grinste und sagte: »Danke.« Er beugte sich vor und nahm eine Zigarette.
    Viv war schockiert. »Mum bringt dich um, Alfie. Sagen Sie’s ihm, Ernst.«
    »Wie soll sie’s erfahren? Haben Sie mal Feuer, Herr Obergefreiter?«
    Heinz lachte und zündete ein Streichholz an.
    Es gab ein weiteres dumpfes Krachen und erneut laute Rufe. Eine stumpfnasige, hässliche Granate segelte von rechts nach links über die Kolonne hinweg und landete in einem Weizenfeld, ohne Schaden anzurichten.
    »Das ist ein leichter Ladungswerfer«, fauchte Heinz.
    »Runter mit euch«, sagte Ernst zu Viv und Alfie. Er sorgte dafür, dass sie sich in den Fußraum des Wagens kauerten.
    Noch ein Krachen, das Pfeifen einer weiteren Granate, und diesmal eine Explosion. Dann zornige Schreie auf Deutsch, und das Knallen von Gewehrschüssen.

XV
    An diesem Dienstagabend – die Uhr zeigte schon nach elf – brach George zu seiner Sperrstundenrunde im Stadtzentrum auf. Er fing beim Rathaus an und arbeitete sich dann zur Strandpromenade vor, wobei er unterwegs auch einige Seitenstraßen abging.
    Die Oktobernacht war kühl, die Luft frisch; er fragte sich, ob es frühen Frost geben würde. Und es war so still, dass er hören konnte, wie die Wellen auf den Kiesstrand rauschten; in den letzten zwei Jahren hatte er gelernt, dass es genauso klang wie das Einsturzgeräusch eines Hauses, das durch eine Bombe wieder in den Haufen von Ziegelsteinen verwandelt wurde, aus denen es bestand. Es war das einzige Geräusch bis auf ein paar deutsche Stimmen, alle männlich, ein wenig Gelächter. Sonst war niemand mehr unterwegs, jedenfalls kein Engländer, außer dahinstapfenden Cops wie George. Für die Einwohner war um elf Uhr Sperrstunde, für die deutschen Soldaten um Mitternacht.
    Die Stadt, seine Stadt, war nicht mehr dieselbe wie noch vor einem Jahr. Die meisten Straßenlaternen waren aus, aber nicht alle; die Verdunkelung wurde nicht mehr ganz so strikt durchgesetzt wie vor der Invasion. Hin und wieder sah man einen Lichtspalt zwischen
Verdunkelungsvorhängen und erhaschte einen Blick in wegen des Schwachstroms nur matt erleuchtete Wohnzimmer und Küchen, in denen Menschen eine letzte Tasse Tee aus mehrfach aufgebrühten Blättern herauszupressen versuchten, bevor sie zu Bett gingen. In ein paar Häusern sah er den Lichtschein von Fernsehapparaten.
    In den Einkaufsstraßen waren die Mauern mit Propagandaplakaten gepflastert. Die meisten zeigten lächelnde britische und deutsche Arbeiter, die Schulter an Schulter einer Horde rattenähnlicher Bolschewiken gegenüberstanden. Das war heutzutage die Stoßrichtung der Propaganda; sie betonte die Einheit von Besatzer und Besatzten gegen einen gemeinsamen Feind – und George wusste, dass nicht wenige in der Stadt diese Denkweise teilten. Dann fiel ihm eine weitere Neuheit ins Auge, ein offizielles Schild an der Tür des Marks-and-Spencer-Ladens in der Queens Road: JÜDISCHES GESCHÄFT.
    Er warf einen Blick auf seine Uhr.
    Und er sah eine Gestalt. Eine Frau in Schwarz, mit tailliertem Mantel und dunklem Hut oder vielleicht einem Kopftuch. Sie schien auf dem Weg zum Bahnhof zu sein. Ihre Absätze klapperten bei jedem Schritt übers Kopfsteinpflaster, ein helles, erstaunlich lautes Geräusch im Dunkeln.
    George eilte ihr nach. »Miss!«, rief er leise. »Bleiben Sie stehen. Polizei – keine Angst …« Wegen solcher Dinge war George jetzt unterwegs, ebenso wie andere erfahrene Polizisten. Falls es Leute gab, die sich nicht
an die Sperrstunde hielten, war es besser, wenn ein Bobby sie diskret auf eine Wache mitnahm, wo sie die Nacht verbringen konnten, statt sie den deutschen Sicherheitsbehörden zu überlassen.
    Aber die Frau eilte jetzt mit schnellen Schritten tiefer ins Dunkel. Sie

Weitere Kostenlose Bücher