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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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wird entzückt sein! Hier, Ernst. Lass ihn an die Wand hängen. Das wird ein weiteres gutes Bild abgeben.« Er reichte seinem Bruder den Speer.
    Der junge Obergefreite schickte einen anderen Soldaten los; er kam mit zwei kurzen Trittleitern zurück.
    »Ich weiß gar nicht, was die Nazis mit so einem alten Speer wollen«, murmelte George.
    »Ist eine ganz hübsche Geschichte«, erwiderte Mary, ebenfalls im Flüsterton. »Tom Mackie hat seine eigenen Nachforschungen über Birdoswald angestellt, weil es von so zentraler Bedeutung für diese ganze Saga zu sein scheint. Es gibt eine fragmentarische Überlieferung, derzufolge die Festung einem der Amtsträger, die mit dem Bau des Hadrianswalls befasst waren, als Hauptquartier diente. Er war ein Kommandeur der Hilfstruppen, ein Bataver namens Tullio. Und dieser Tullio hatte einen Bekannten, der wiederum jemanden kannte, der bei der Kreuzigung dabei war.«
    Das überraschte George. »Wirklich? Worauf stützt sich das?«
    Sie grinste. »Die Frage eines guten Historikers. Auf sehr wenig. Grabmarkierungen und dergleichen, und auf einen Haufen Spekulationen. Aber Christus
war weniger als ein Jahrhundert zuvor gestorben. In Anbetracht dessen ist es zumindest plausibel, dass Tullio eine Reliquie der Kreuzigung in seinem Besitz gehabt haben könnte. Die Trophäe eines Soldaten. Einen Speer vielleicht – wie den Speer des Longinus, mit dem der sterbende Christus angeblich verwundet wurde.«
    »Ah. Den hat Hitler, oder? Und Himmler und seine Leute sind immer auf der Suche nach heiligen Reliquien.«
    »Jawoll. Aber wenn Tullio wirklich einen solchen Speer besaß und am Wall stationiert war und seine Nachfahren später dort geblieben sind …«
    »… wäre der Speer vielleicht am Ende in Birdoswald begraben worden. Um zweitausend Jahre später von einem Navy-Soldaten wieder ausgebuddelt zu werden.«
    »So ungefähr.«
    »Das ist doch ein einziges Lügengebräu, oder, Mary?«
    »Natürlich. Aber Himmlers Speichellecker sind schon auf weit weniger glaubhafte Schwindeleien reingefallen.«
    Die Fotografen knipsten weitere Schnappschüsse von der Gruppe als Ganzer unter dem Speer, dann von Josef Trojan und Mary zusammen und von Trojan allein. Er forderte die Fotografen auf, sich auf den Boden zu hocken, so dass sie zu seinem hübschen Gesicht, seinen verschränkten Armen und dem Speer an der Wand hinter ihm aufblickten.

    Mary beobachtete das alles verärgert und ein wenig benommen. Da sie wusste, wie es weitergehen würde, verspürte sie eine zornige Ungeduld über diesen Clown und seine Prahlerei, obwohl ihr klar war, dass sie nur dank dieser Eigenschaften überhaupt hier hereingekommen war.
    Endlich war Trojan fertig. Er glättete seine Uniform und kam wieder zu Mary. »Das ist ein herrlicher Tag für mich – ein herrlicher Tag. Und nun soll es auch für Sie ein herrlicher Tag werden, meine liebe Mary Wooler.« Er drehte sich um und nickte seinem Bruder zu, dem das ganze Trara ein bisschen peinlich zu sein schien. Er öffnete die Tür zu einem Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter.
    Und Gary kam heraus. Eine junge Frau war an seiner Seite. Er trug einen eleganten Anzug mit Krawatte, seine Schuhe waren blank gewienert, seine Haare geschnitten und gekämmt.
    Mary lief zu ihrem Sohn und fiel ihm um den Hals. Sie hatte ihn seit der Invasion, seit seiner Gefangennahme nicht mehr gesehen. Gary drückte sie ebenfalls fest an sich; sie spürte seine Kraft, ganz wie die seines Vaters. Blitzlichter flammten auf. Trojan und die anderen Deutschen applaudierten. Mary beachtete sie alle nicht.
    Gary wich zurück und hielt sie an den Armen fest. »Mom. Hey, keine Tränen. Du machst mir noch den Anzug schmutzig.«
    »Ich hatte nicht damit gerechnet – wenn ich an dich gedacht habe, hast du vor meinem geistigen Auge immer
deine Uniform getragen. Dich in einem Anzug zu sehen ist so, als hätte es den Krieg nie gegeben.«
    »Ja, aber meine Uniform sieht nicht so gut aus nach einem Jahr im Stalag, glaub mir.«
    Sie sah ihn aufmerksam an. »Und, geht es dir gut?«
    Er zuckte die Achseln. »Das Leben in Rutupiae ist ziemlich angenehm. Die Ärzte hier haben mich gründlich durchgecheckt. Verglichen mit dem Stalag bin ich gut dran.«
    »Und natürlich hat er mich.« Die junge Frau kam zögernd näher. Sie war auf attraktive, wenn auch nüchterne Weise in Weiß gekleidet; ihr Gesicht war quadratisch, vernünftig und sehr gut geschminkt. Dies war Doris Keeler, und ein Augenlid zuckte, ein subtiles Zwinkern

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