Diktator
energischen Bewegungen einen Kreis von etwa einem halben Meter Durchmesser in den Putz. Dann schaute sie wieder nach unten. »Nur zwei oder zweieinhalb Meter. Kinderspiel.« Sie hielt sich an einem hölzernen Balken fest und schwang die Füße durch das Loch, bis sie nur noch an dem Balken hing. Dann ließ sie los und fiel mit gebeugten Knien in die Tiefe, so dass sie ohne Aufprall und praktisch lautlos landete.
Gary krabbelte zu dem Loch. Der Raum unten war
hell erleuchtet. Er sah mechanische Geräte, eine Glaswand. Doris stand direkt unter ihm. Sie hatte Gipsstaub in den Haaren. »Jetzt du.«
Er landete schwer, mit lautem Gepolter, und wäre beinahe hingefallen.
»Idiot«, zischte sie.
»Angeberin.« Er richtete sich auf, wischte sich den Staub vom Jackett und schaute sich um. Er befand sich in einem hell erleuchteten, schachtelförmigen Raum mit weiß getünchten Wänden. In der Mitte war ein Bereich mit Glaswänden abgeteilt, ein Raum in einem Raum. Er sah Schreibtische, Arbeitstische und Stühle, Berge von Papier – und, unpassenderweise, einen großen Bücherschrank voller schimmeliger Geschichtsbücher. Das Summen von Ventilatoren war zu hören; die Luft war trocken und kühl.
Das dominierende Element war jedoch eine Ansammlung mechanischer Apparaturen, die eine Wand von einer Seite zur anderen und vom Fußboden bis zur Decke überzog. Es sah so aus, wie er sich eine Telefonzentrale vorstellte, lauter Relais und Drähte in einem Aluminiumgestell.
Doris fragte leise: »Ist das Ben?«
Er fuhr herum. Sie schaute in die innere Kammer mit den Glaswänden. Diese enthielt nicht viel mehr als ein Bett mit weißen Laken, wie er sah, einen Tisch, einen Stuhl und ein Waschbecken, einen Nachttopf auf dem Fußboden. Und auf dem Bett, auf den Laken, lag ein Mann in gestreifter Häftlingskluft, klein, zusammengekrümmt, die Beine an den Bauch gezogen, die
Arme verschränkt, verstrubbelte schwarze Haare auf dem Kissen. Er trug eine Art Kappe aus silbrigem Metall – Drähte verbanden sie mit einem Metallschrank neben dem Bett – und war in strahlendes weißes Licht getaucht.
Gary hämmerte an die Glaswand. »Ben. Ben!«
Die schlafende Gestalt regte sich widerwillig, mit leisem Gemurmel.
»Nicht so laut, Herrgott noch mal. Holen wir ihn da raus.« Der Glaskasten besaß eine Tür, in deren transparente Struktur ein Schloss eingebettet war. Doris brachte ein weiteres Werkzeug zum Vorschein, eine Art winzigen Schraubenzieher, und begann, an dem Schloss herumzuwerkeln.
Schließlich öffnete Ben ein Auge. Als er Gary sah, richtete er sich schwankend zum Sitzen auf. Sein Hemd stand offen, und man sah seinen Bauch. Er stieg aus dem Bett und lief zur Glaswand. Die Metallkappe wurde ihm von den daran hängenden Drähten vom Kopf gerissen. Seine Schädeldecke war kahlgeschoren, wie die Tonsur eines Mönchs, und seine Kopfhaut war von einem Netz purpurroter Punkte überzogen. Er stand da, ans Glas gedrückt, mit offenem Mund. »Ihr kommt mich holen.«
Gary war nur Zentimeter von ihm entfernt, konnte ihn aber nicht berühren. »Ich hab’s dir doch gesagt, dass ich’s tun würde, oder? Ist schon gut, Ben. Wir holen dich raus aus diesem beschissenen Zoo. Herrgott, ich glaube, sie haben ihn unter Drogen gesetzt. Seine Augen …«
»Gary! Gary!«
Doris kämpfte immer noch mit dem Schloss. »Mach ihm klar, dass er still sein soll.«
Gary machte beruhigende Handbewegungen. »Alles in Ordnung, Ben, immer mit der Ruhe.«
Die Tür schwang geräuschlos zurück, und Doris steckte ihr Einbruchswerkzeug weg und eilte in den Glasraum. Als sie nach Ben griff, wich er zurück und prallte mit dem Kopf gegen die Glaswand. »Herrje«, sagte Doris. »Komm rein, Gary, um Gottes willen.«
Gary schob sich an Doris vorbei. Ben warf sich ihm an den Hals. »Gary, du meine Güte, du bist gekommen, ich dachte, ich würde nie, ich dachte …« Er begrub das Gesicht an Garys Brust.
Gary legte die Arme um ihn. Ben fühlte sich beinahe pummelig an; eine Fettschicht überzog Rippen und Bauch. »Die haben dich ja richtig gemästet. Herrgott, was haben sie mit dir gemacht?«
Ben schaute auf. Sein Blick war glasig. »Es geht darum, was sie mit meiner Hilfe gemacht haben … Sie haben mich unter Drogen gesetzt, und ich habe fast ständig geschlafen. Geträumt . Vergangenheit und Zukunft, Vergangenheit und Zukunft. Wir – eine Rechenmaschine und meine arme, umherirrende Psyche – sind eine Brücke über die Zeit. Frag lieber nicht, Gary, das
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