Diktator
Lastwagen vorbei. Der Fahrer saß noch hinter seinem Lenkrad, auf der linken Seite dieses deutschen Fahrzeugs. Die Flammen hatten ein Strichmännchen aus ihm gemacht, eine geschwärzte Hülse. Seine gebleckten Zähne glänzten weiß, und seine Hände umklammerten noch das geschmolzene Lenkrad.
»Schau dir das an.« Willis deutete mit seinem Gewehr auf das Handgelenk des Fahrers, wo ein weißer Streifen, ein Stück Haut zu sehen war. »Was sagt man dazu, Dougie? Irgend so ein Arschloch hat dem armen Kerl die Armbanduhr geklaut. So eine Herzlosigkeit.«
»Schafft mal eure Ärsche von der Straße, Ladys«, sagte Danny Adams.
Der Trupp musste beiseitetreten, um eine Panzerkolonne vorbeizulassen. Es waren Sherman-Panzer. An ihre Karosserien hatte man mit Stricken Bettfedern und andere Eisenteile festgebunden – Gerümpel, das
die vorzeitige Explosion der von Panzerfäusten abgeschossenen, raketengetriebenen Granaten verursachen sollte. Die Soldaten machten sich erwartungsgemäß über die Panzerbesatzungen lustig, als die Fahrzeuge vorbeirollten.
Gary war froh über die Gelegenheit, sich ein wenig auf den weichen Boden setzen und eine Zigarette rauchen zu können, obwohl Dougie Skelland sowieso die meiste Zeit eine Kippe zwischen den Lippen hatte. Ihre geschwärzten Gesichter waren schweißverschmiert.
»Lasst sie einfach vorbei, Leute«, sagte Danny Adams. »Panzer sind schon in Ordnung. Aber was im Krieg zählt, sind die Füße auf dem Boden. Ein verdammter Schritt nach dem anderen. Und das sind wir. Wir erobern England Schritt für Schritt zurück. Na los, auf geht’s.«
Sie kletterten wieder auf die Straße und marschierten weiter. Der Straßenbelag war von den Panzerketten aufgerissen worden, darum musste man aufpassen, wohin man trat.
Es war Vormittag. Nach dem Beschuss im Morgengrauen hatten sie die zertrümmerte Kruste der Verteidigungsanlagen hinter der Winston-Linie rasch durchbrochen, und nun waren sie den zurückweichenden Deutschen hart auf den Fersen, um ihnen so wenig Zeit wie möglich zu geben, sich neu zu formieren. Aber herrje, was war er müde, dachte Gary; er war nun schon seit acht oder neun Stunden auf den Beinen.
Es hätte allerdings weitaus schlimmer sein können. Gerüchten zufolge hatten die Deutschen ihre mechanisierten
Divisionen im Osten des Protektorats massiert, um den Kampf mit den Amerikanern aufzunehmen; auf den Feldern des östlichen Kent wurde eine heftige Panzerschlacht ausgetragen, und die tief gestaffelte Abwehr der Deutschen konzentrierte sich darauf, die großen Häfen wie Folkestone zu halten. Aber auch hier im Westen leisteten die Deutschen entschlossenen Widerstand. Sie hatten ja schließlich auch drei Jahre Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten.
Obwohl Einheiten der Vorhut bereits weit ins Innere des Protektorats vorgestoßen waren, gab es noch jede Menge deutscher Nester, und die vorrückenden Truppen wussten, dass sie vom Feind umgeben und darum in Gefahr waren. In dieser kleinflächigen Landschaft aus Feldern, Hecken, Bäumen und Straßen herrschten schlechte Sichtverhältnisse. Hinter jedem Baum, jedem Fenster dieser idyllischen Häuschen konnte sich ein Heckenschütze verstecken; jede Feldfurche konnte ein MG-Nest oder einen Mörser beherbergen. Weiter draußen hatten die Deutschen ein paar große Geschütze in Stellung gebracht, die ihre bösartigen Geschosse kilometerweit spucken konnten, wenn ihnen die Staubwolken der vorrückenden Kolonnen ein Ziel boten. Das führte dazu, dass die Fahrzeuge höchstens im Schritttempo dahinkrochen. Die Vorauseinheiten hatten Schilder an Telefonmasten und Bäume gehängt: LANGSAM. STAUB HEISST TOD.
Alles vermischte sich. Manchmal kam man so nah an den Feind heran, dass man deutsche Stimmen oder das Hufgeklapper ihrer Pferde hörte.
Doch trotz alledem war dies immer noch England, und jene Zivilisten, die nicht geflohen waren, führten ihr Leben weiter. Einmal sah Gary eine Panzereinheit, die angehalten hatte, damit ein Bauer seine Kühe zum Melken über die Straße treiben konnte. Kühe!
Sie kamen zu einer verlassenen deutschen Stellung hinter einer Kreuzung, einem Komplex miteinander verbundener, durch ein Minenfeld geschützter Splittergräben. Die Pioniere hatten mit weißem Klebeband einen sicheren Weg markiert. Gary sah ein grausiges Mahnmal auf der Straße liegen: ein menschliches Bein, säuberlich am Knie abgetrennt, der gestiefelte Fuß zerfetzt. Jemand hatte teuer für den Weg bezahlt, dem er jetzt
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