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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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der zweiten Linie, Zweitklassige, Gefangene und Kinder.
    Er glaubte, einen Eulenschrei zu hören, und fragte sich, ob er in dieser Nacht wohl noch etwas Schlaf finden würde.
    »Oh«, sagte Fischer. Er schaute nach oben, und sein Gesicht war in orangefarbenes Licht getaucht.
    Ernst drehte sich um. Im Nordwesten, hinter der alliierten Linie, sah er eine orangegelbe Leuchtkugel in den Himmel steigen. Die Nacht blieb still. Selbst die Männer in den Gräben verstummten, wie Kinder, die sich ein Feuerwerk ansahen.
    »Wieder mal ein Morgenkonzert, oder was meint ihr?«, fragte Ernst. Nur ein weiteres Störfeuer, wenn es so war.
    »Das glaube ich nicht«, sagte Heinz sanft.
    Dann fing es an, ein Geräusch wie Donner, das die Stille zersplittern ließ. Sie legten sich alle auf den
Bauch. Ernst drückte das Gesicht in den Schmutz und bedeckte den Kopf mit den Armen.
    Aufgescheuchte Vögel stiegen in großen Schwärmen in den Himmel.
    Die ersten Granaten landeten irgendwo hinter Ernst. Der Boden erbebte unter ihrem Aufprall, als würden riesige Türen zugeschlagen. Es waren hochexplosive Geschosse, abgefeuert von Geschützen, die Kilometer entfernt sein mochten, ein Bombardement, das die deutschen Verteidigungsstellungen zerstören sollte, bevor auch nur ein einziger alliierter Stiefel das Erste Ziel überschritt.
    Nur Sekunden nach dem Ende der Stille begann das Geschrei der Verwundeten.
    In einer rudimentären Feuerpause wagte es Ernst, den Blick zu heben. Jetzt war alles voller Licht. Durch die Bäume im Nordwesten sah man den ganzen Himmel in Flammen stehen, von einem Horizont zum anderen. Rauch quoll empor, erleuchtet von den Blitzen der riesigen Geschütze, und weitere Leuchtkugeln zogen ihre Bahn über den Himmel. Es war eine plötzliche Morgendämmerung, die auf grässliche Weise auf der falschen Seite der Welt anbrach.
    Er drehte sich um. Die ordentlichen Zickzack- und Rautenmuster der Gräben hinter ihm waren von frischen Löchern durchbrochen, rund wie Mondkrater, und es brannten Feuer. Überall in dieser zerstörten Landschaft sah er Pioniere, die durchtrennte Leitungen zu flicken versuchten, und Sanitäter, die sich abmühten, an die Verwundeten heranzukommen, Männer,
die in ihren eigenhändig ausgehobenen Kuhlen begraben waren. Und der Geschosshagel hörte nicht auf; die Explosionen schienen aus dem Boden hervorzubrechen. Ernst sah, wie Männer in die Luft geschleudert wurden, Männer und Stücke von Männern, säuberlich auseinandergerissene Gliedmaßen und Rümpfe.
    Eine Hand packte Ernst an der Schulter und zog ihn unter das Wellblechdach des Grabens zurück – Heinz natürlich. Irgendwo über Ernsts Kopf explodierte eine Granate, zerfetzte die Bäume, und Holzsplitter prasselten auf das Blech. Auf die Bäume zu zielen, war eine Schützentaktik; mit Holzsplittern konnte man ebenso gut töten und verstümmeln wie mit heißem Metall.
    »Vierter Juli«, brüllte Heinz durch den Lärm.
    »Was?«
    »Vierter Juli! Klar, dass die Amerikaner ihren Krieg heute beginnen. Wir hätten’s wissen müssen.«
    Eine weitere Granate kreischte heran, und sie duckten sich erneut. Und dann kam ein neues Geräusch, ein zischendes, schrilles Dröhnen, und Maschinengewehrfeuer zernarbte das Erdreich um die zusammengekauerten Männer. Es war ein Erdkampfflugzeug, das an der Linie der Verteidigungsanlagen entlangbrummte. Ernst sah im Lichtschein der Feuer rote Sterne auf den Tragflächen der Maschine.
    »Das ist eine Shturmovik«, sagte Heinz. »Bei Goebbels’ Eiern, ich hätte nie gedacht, dass ich noch mal eins von den Dingern sehen würde …«
    Motoren heulten auf, und man hörte das rostige Scheppern von Panzerketten.

    »Sie kommen!«, brüllte Fischer über das Getöse hinweg. »Auf eure Positionen, Leute!«
    Sie hatten für diese Situation geübt. Ernst griff sich eine Panzerfaust und stützte sie auf die Nordwand des Grabens. Er hob die Waffe an seine Wange. Heinz war auf einer Seite neben ihm, Fischer auf der anderen. Sie waren bereit.
    Der Wald vor ihnen war jetzt voller Rauch, eine Nebelbank aus Rauch und Erde, von Scheinwerfern illuminiert. Die Männer in den Gräben schossen bereits zurück; Panzerfaustgranaten sausten wie Raketen in den Nebel, und man hörte das Rattern der Handfeuerwaffen. Ernst sah zwar noch keine Fahrzeuge, aber vor seinen Augen stürzten Bäume um, einfach überfahren und unter Panzerketten zerquetscht.
    Dann brach der erste Panzer zwischen den Bäumen hervor und durchstieß die Rauchbarriere.

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