Diktator
nichts dagegen, sie selbst mal zu reiten.
« Ernst wurde wütend, aber bevor er etwas sagen konnte, trank Josef einen Schluck von seinem Kaffee und spuckte ihn dann auf den Boden. »Igitt, was ist das denn für eine Plörre? Aus Eicheln gemacht, oder?« Er rief lauter: »Willst du uns vergiften, Wirt?«
Der Wirt eilte herbei, um neuen Kaffee einzuschenken. Julia stieß Josef gegen den Ellbogen. »Sei nicht so grausam zu dem Alten.«
»Na, das hat er doch verdient. Schau dich bloß mal um. Ich hätte in Paris stationiert sein können. Boulogne! Das hier muss das Arschloch von ganz Frankreich sein.«
Claudine sagte in ruhigem Ton: »Und Sie sind das Stück Scheiße, das hindurchgeht, nehme ich an?«
Ernst schnappte nach Luft. Selbst Julia schaute schockiert drein.
Josef starrte sie an, dann lachte er laut. »Meine Güte, Ernst, dein Halbblut hat ganz schön Mumm!«
»Ja, das stimmt«, sagte Ernst unwirsch.
»Also, Ernst, wie läuft’s denn so mit euren Übungen? Stapft ihr immer noch alle im Sand umher und werdet ordentlich seekrank?«
»Die Vorbereitungen gehen voran«, sagte Ernst unbestimmt.
»Ja, in der Tat, auf Ebenen, die noch höher über dir sind als der Adler fliegt«, sagte Josef. »Der Führer hat eine letzte Weisung herausgegeben, wie ich gehört habe. Die Landung in England hat jetzt sogar einen Namen: Operation Seelöwe! Aber das Oberkommando diskutiert noch über die Einzelheiten. Ich brauche
etwas, worauf ich zeichnen kann.« Er klopfte auf seine Taschen. »Verdammt.« Er hob die Tassen und Gläser vom Tisch, zog das spitzenbesetzte Tischtuch herunter und legte eine Tischplatte aus altem Holz frei, dunkel und so stark poliert, dass sie wie Satin aussah. Er holte ein Taschenmesser hervor und ritzte mit energischen Zügen eine Karte in die Tischplatte.
»Dann muss es halt so gehen. Schau. Dieser Küstenabschnitt eignet sich für eine Invasion am besten, denn hier kommt Europa England am nächsten. Man kann einfach über den Kanal hüpfen, die Küsten von Sussex und Kent angreifen und ist in ein paar Stunden in London. Die Marine möchte auf Grundlage einer schmalen Front planen, denn die ist vom Meer aus besser zu verteidigen als ein langer Abschnitt des Kanals; das Heer dagegen möchte an Land nicht eingeschlossen werden und ist für eine breitere Front …«
Er fuhr fort, mit seinem Messer zu zeichnen, skizzierte Angriffs- und Verteidigungslinien, zerschnitt und zersplitterte die Tischplatte. Ernst beobachtete die Gesichter der Frauen; keine von ihnen reagierte auf diesen schäbigen Vandalismus.
»Sie sind nur Standartenführer«, sagte Claudine. »Woher wissen Sie das alles? Vielleicht versuchen Sie nur, einer Frau zu imponieren, die Sie als Hure bezeichnet haben.«
»Sie haben wirklich Mumm, was? Ich bin hier, um die Waffen-SS zu beraten. Den militärischen Arm der SS, die genaugenommen eine Parteiorganisation ist. Aber ich arbeite beim Ahnenerbe.«
»Das ist Himmlers Forschungs- und Kultureinrichtung«, erklärte Julia.
»Ich habe mit Himmler persönlich zusammengearbeitet. Sie sehen also, meine Liebe, der Bruder Ihres Liebhabers verfügt über Kontakte zu hochrangigen Stellen. Imponiert Ihnen das nicht?«
»Frankreich hat schon vor einem Monat kapituliert«, sagte Claudine. »Durch diese lange Verzögerung habt ihr den Engländern Zeit gegeben, sich vorzubereiten.«
Josef nickte. Er war erneut beeindruckt. »Tatsächlich haben manche genau dasselbe gesagt. Zum Beispiel General Milch, Görings Stellvertreter. Es ist ein Grundprinzip, einem geschlagenen Feind nachzusetzen. Milch war der Meinung, wir hätten im Juni, als wir das Meer erreicht haben, sofort eine Luftlandeinvasion durchführen sollen.«
»Ich glaube, der Führer hofft weiterhin, dass meine Landsleute zur Vernunft kommen«, erwiderte Julia. »Schließlich sind Englands Landstreitkräfte stark dezimiert, nachdem sie bei Dünkirchen den größten Teil ihrer Männer verloren haben.«
»Es stimmt, dass Hitler Friedensangebote gemacht hat«, sagte Josef. »Mit vernünftigen Bedingungen: freie Hand in Europa als Gegenleistung für die Sicherheit des Britischen Empires. Alles ignoriert oder abgelehnt. Wie unvernünftig! Besonders wenn man sieht, wie gut wir die besiegten Franzosen behandeln.« Er packte Claudines Oberschenkel und drückte ihn.
»Du bist ein Schwein, Josef«, sagte Ernst leise. Das
Kriegsgerede kam ihm unrealistisch vor, ein Hirngespinst im strahlenden Sommerlicht, inmitten des sanften Klangs der Stimmen,
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