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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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gegeben, als die deutsche Luftwaffe einen massiven Angriff auf London flog: den Samstags-Blitz, wie die Zeitungen ihn genannt hatten, am Samstag, dem 7. September. Jeder hatte gehofft – beschämenderweise, sofern er nicht in London war –, dass die Deutschen ihre Taktik änderten, dass sie die Absicht aufgegeben hatten, den Luftkrieg zu gewinnen, und nun zum Terror gegen die Zivilbevölkerung griffen. Aber dann war es wieder nach dem üblichen Muster weitergegangen, als die Luftwaffe erneut ihr Ziel verfolgte, die Royal Air Force durch schiere Abnutzung kampfunfähig zu machen.
    Hilda näherte sich dem Arbeitstrupp. Ben arbeitete neben einem älteren Mann von vielleicht fünfzig Jahren. Die anderen Home-Guard-Männer stießen, auf ihre Schaufeln gestützt, anerkennende Pfiffe aus und alberten herum, gaben mit ihren kümmerlichen Muskeln an und riefen mit ihrem derben Sussex-Akzent: »Oi, WAAF! Die Uniform steht dir aber gut!« – »Hey, WAAF, was hat der, was ich nicht habe?« – »Ich sag dir, was der nicht hat. ’n Stück Haut vorn an seinem Schwanz …«

    Sie nahm das alles mit einem angespannten Grinsen zur Kenntnis und ging weiter. Der ältere Mann brachte die anderen mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Hört auf zu sabbern, alle miteinander.« Er hatte einen leichten, schnarrenden irischen Akzent und große Hände, Bauernhände, die größten Hände, die Hilda je gesehen hatte.
    Ben stieß seinen Spaten in den Boden, wischte sich die Hände an der Hose ab und drehte sich zu Hilda um. »Wie schön, dich zu sehen. Bist du meinetwegen die ganze Strecke bis hierher gefahren?«
    »Na ja, ich habe ein paar Nachrichten für dich.«
    »Von Mary Wooler?«, fragte er aufmerksam.
    »Ja, und auch von Gary. Eigentlich von mir und Gary.« Sie hielt sich gerade und hoffte, dass sie nicht errötete.
    »Sieh an, sieh an. Also, ich würde dich ja umarmen, wenn ich nicht schwitzen würde wie sonstwas. Tom, hast du was dagegen?«
    »Mach ruhig Pause, lass dich durch mich nicht stören.« Tom fuhr fort, in der Erde zu scharren.
    Ben nahm seine Jacke von einem Haufen Pfähle, breitete sie auf dem Boden aus und forderte Hilda mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Er selbst hockte sich mühelos auf die Erde, trank einen großen Schluck aus einer Milchflasche mit Wasser und bot sie Hilda an; sie lehnte ab.
    »Macht Spaß, was, Löcher in den Boden zu buddeln?«
    »Oh, ein richtiger Traumjob«, sagte Ben. »Aber du
kennst ja die Theorie. Wir versuchen bloß, jedes Feld und jedes freie Gelände zu verschandeln, damit Flugzeuge und Segelflieger nicht landen können.«
    »Ist wahrhaftig kein Vergnügen, verdammt noch mal«, knurrte Tom. »Der Boden ist ausgedörrt und hart wie Beton. Aber Sie sehen ja, was wir machen.« Er zeigte auf eine Reihe fertiger Vorrichtungen; es waren schlichte Dreibeine aus Holz, die den Gestängen von Zelten ähnelten. »An solchen Dingern wachsen meine Erbsen und Bohnen.«
    »Würden Sie nicht lieber in Ihrem eigenen Garten graben, äh, Tom?«, rief Hilda.
    »Wenn ich nur die geringste Chance hätte«, antwortete er mit einem Grinsen. »Aber ich sag Ihnen was, lieber das hier als Übungsmärsche. Als wir das erste Mal mit unserem Home-Guard-Zug marschiert sind, hab ich mich ganz plötzlich ein Vierteljahrhundert zurückversetzt gefühlt. Ich schwöre, ich konnte das Kordit und den Schlamm riechen. Ich war in Flandern, wissen Sie. Hab nicht gedacht, dass ich in meinem Leben je wieder marschieren würde. Na ja.« Er seufzte und rammte seinen Spaten erneut in den widerstrebenden Boden.
    »Tom ist ein guter Kumpel«, sagte Ben. »Hält mir die anderen Jungs ein bisschen vom Hals.«
    »Die machen dir das Leben schwer, was?«
    »Damit komme ich schon klar. Ist aber komisch, dass sie auf mir herumhacken, weil ich Deutscher und weil ich Jude bin.«
    »Aber lieber hier als in diesem Internierungslager,
nach dem, was Gary mir von deinen Briefen erzählt hat.«
    »O ja.« Ende Juni war Ben Kamens Name auf einer Liste potenziell feindlicher Ausländer aufgetaucht. Bis zu seinem Tribunal hatte man ihn in ein Internierungslager in Liverpool gesteckt. »Es war eine halb fertige gemeindeeigene Wohnsiedlung an einem Ort namens Huyton. Was für ein Loch. Aber das Tribunal hat mich schließlich als C eingestuft.« In die Kategorie A fielen Gegner der britischen Kriegsanstrengungen; Angehörige der Kategorie B galten aus irgendwelchen Gründen als zweifelhaft; C bedeutete, dass man ein Freund war und keine

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