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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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hineinzulaufen.
    Sie stieß mit jemandem zusammen. Der Gestank von Tabak und abgestandenem Bier stieg ihr in die Nase. »Hallo, Süße. Hast du dich verirrt?« Eine Hand fummelte an ihrer Taille herum.
    Sie schlug die Hand hart weg. »Leck mich.« Sie trat auf die Straße hinaus.
    »Würde ich gern.« Der Mann lachte – er war eindeutig betrunken –, versuchte jedoch nicht, sie erneut zu begrapschen.
    Als sie ein gutes Stück an ihm vorbei war, kehrte sie zum Bürgersteig und zur Mauer zurück. Sie tastete sich so schnell wie möglich vorwärts; sie spürte, dass der betrunkene geile Bock eine größere Gefahr darstellte als die Macht der deutschen Luftwaffe. Dann stolperte sie in einen Eingang und fiel hin. Ihre rechte Hand kratzte über die Wand, und ihr Knie schlug aufs Pflaster. »Scheiße, verdammte.«

    Ein schwaches Licht schwebte vor ihr, eine abgedeckte Taschenlampe. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Mary blickte auf. Sie erkannte das Gesicht einer Frau, die einen Tellerhelm und einen dunklen Mantel mit einer ARP-Armbinde trug. »Mir geht’s gut. Bin bloß gestolpert.« Sie versuchte aufzustehen, aber das Knie tat ihr weh, und sie zuckte zusammen.
    »Kommen Sie, ich helfe Ihnen.« Das Mädchen fasste sie unter den Armen und zog sie auf die Beine.
    »Danke. Ich habe gerade versucht, so einem Arschloch da hinten zu entkommen.«
    »Von denen gibt’s hier jede Menge. Hey, Sie haben Blut an der Hand. Ganz schöner Kratzer. Na, Sie müssen in den Schutzraum. Wissen Sie, wo der ist?«
    »Nein.« Mary sah sich um und merkte, dass sie die Orientierung verloren hatte. »Um die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht mal sicher, woher ich gekommen bin.«
    »Das passiert häufig. Der nächste Schutzraum ist unter der Burg. Kommen Sie, ich bringe Sie hin.« Sie hielt Mary am Arm fest und führte sie ziemlich selbstsicher durch die Dunkelheit. Aber das Mädchen hinkte beim Gehen.
    »Sie sind selber verletzt«, sagte Mary.
    »Hab einen Brandsatz weggetreten. Kleine Verbrennung. Reichlich dumm von mir. Ich werd’s überleben.«
    Mary war ein selbstständiger Mensch, aber sie ließ sich gern von dem Mädchen führen. »Danke, ähm …«

    »Doris Keeler. Nennen Sie mich einfach Doris. Sind Sie Amerikanerin?«
    »Ja. Mary Wooler. Freut mich, Sie kennenzulernen, Doris.«
    »Ich hab eine Tante in Amerika. Zu Besuch hier, was?«
    »Gewissermaßen.«
    »Na, da haben Sie sich den richtigen Sommer ausgesucht. Da wären wir.« Die Burgmauer ragte vor ihnen auf, und sie eilten durch einen überwölbten Torweg. Doris richtete ihre Taschenlampe auf ein Schild mit einem großen »S«, einem Pfeil und dem Wort SCHUTZRAUM in Weiß auf schwarzem Grund. Sie liefen eine schmale Treppe hinunter.

VII
    Mary fand sich in einem tunnelartigen Gewölbekeller mit Ziegelmauern wieder. Provisorisch an die Wände gehängte elektrische Lampen spendeten trübes Licht; allerdings lag auch ein Stapel Kerzen bereit, und gleich daneben standen altmodische Öllampen, wie es schien. Doris schaltete ihre Taschenlampe aus und nahm den Helm ab. Ihre braunen Haare waren zu einem straffen Knoten zurückgebunden, und sie hatte regelmäßige, eher markante als hübsche Züge; sie sah tüchtig aus.
    Der Keller war bereits voll. Die Menschen – größtenteils Frauen, Kinder und ältere Leute, aber auch ein paar Männer im wehrfähigen Alter – hockten aufgereiht auf dem Boden wie Sardinen in einer Dose. Mary sah, dass sie sich für die Nacht einrichteten. Es gab zwar offenbar vom Staat bereitgestellte Betten, aber sie waren bereits belegt. Ansonsten hatten die Leute haufenweise Decken, Liegestühle und kleine Teppiche mitgebracht und nisteten sich unter den gekrümmten Kellerwänden ein.
    Es war alles recht gut organisiert; WVS-Freiwillige standen hinter Klapptischen mit Teekannen. Ein Ölofen brannte, und Kochdünste erfüllten die stickige Luft. Ein Bereich des Kellers war mit ein paar Decken
abgeteilt; der Geruch verriet Mary, dass dort hinten der Abtritt war.
    Doris führte Mary zu einem Erste-Hilfe-Tisch, wo Mütter mit kranken Kindern auf den Armen saßen. Mary protestierte, aber eine Freiwillige, eine strenge Frau mittleren Alters, warf einen raschen Blick auf ihr Knie, betastete das Gelenk – »eine leichte Prellung, das ist alles« –, wusch sodann ihre aufgeschürfte Hand, tupfte ein Antiseptikum darauf und gab ihr ein Pflaster. Doris sagte nichts über die Verletzung an ihrem eigenen Fuß, und Mary versuchte auch nicht, sie dazu zu bringen.
    Doris

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