Diktator
Bedrohung darstellte. »Trotzdem, als ich dann zur Home Guard gegangen bin, haben sie mich von den Waffen ferngehalten und mir stattdessen eine Schaufel in die Hand gedrückt. Schon komisch.«
»Na, jetzt hast du’s ja hinter dir.«
»Hoffentlich«, sagte er inbrünstig. »Und was macht dein Krieg? Ich hatte eigentlich erwartet, dich mittlerweile da oben zu sehen.« Er schaute zum Himmel hinauf. »In einer Spit oder Hurricane. Wie ich höre, wollen sie jetzt auch Frauen an die Front schicken.«
»Das stimmt, aber ich habe keine Ausbildung. Ich arbeite in einer Beobachtungsstation an der Küste.« Sie hatte sich angewöhnt, das Wort »Radar« nur zu benutzen, wenn es nötig war.
Er sah sie an. »Sie kommt, oder?«
»Wer?«
»Die Invasion.«
»Warum sagst du das?«
»Ich schaue mich einfach um. Setze Puzzlesteinchen zusammen. Ich meine, unsere bisherige Arbeit – die entbehrt doch nicht einer gewissen Logik.« Er mimte mit den Händen eine Einfriedung. »Da ist diese Kruste entlang der ganzen Küste – Panzersperren, Stacheldraht, Gräben, Minen. Weiter hinten haben wir dann die sogenannten Sperrlinien gezogen. Natürliche Barrieren wie Flüsse, Kanäle und Wälder, aber verstärkt durch Panzerfallen und Bunker. Verteidigung in der Tiefe. Man kann sehen, wie sie Gestalt annimmt.«
»Ich glaube nicht, dass sie kommen«, sagte Hilda. »Zum Beispiel ist es ihnen nicht gelungen, die RAF auszuschalten. Ihre Me109 haben eine zu geringe Reichweite. Die Hurricanes und Spits können sich jederzeit zu Flugplätzen im Norden Englands zurückziehen. Die deutsche Luftwaffe kann nicht gewinnen.« Das war die offizielle Linie. Aber an ihrem Arbeitsplatz hatte Hilda gehört, dass die Deutschen die RAF eigentlich nur vom Himmel Südenglands zurückschlagen und eine »lokale Luftüberlegenheit« erreichen mussten. Und Hilda wusste aus eigener Erfahrung, dass das empfindliche Kommando- und Kontrollsystem hinter den RAF-Operationen bald zerbröckeln konnte, wenn sie weiterhin die Flugplätze, Radar- und Sektorstationen im Südosten attackierten. Für Britanniens Aussichten im Krieg wäre es tatsächlich besser, wenn die deutsche Luftwaffe sich wieder London zuwenden würde. Aber sie sagte mit fester Stimme: »Nein, sie kommen nicht. Und dann war eure ganze Buddelei für die Katz!«
»Wo ist Gary jetzt?«
»Er hat sich gut erholt und ist versetzt worden, wie viele andere BEF-Veteranen auch. Man hat ihn einer internationalen Einheit in der Neunundzwanzigsten Brigade zugeteilt. Am Freitag tritt er dort seinen Dienst an.« Sie zögerte. »Sie sind nördlich von Eastbourne stationiert. Ich hatte gehofft, er käme zur Einundzwanzigsten, nördlich von London. Bei der sind viele Veteranen.«
»Ist das eine Reserveeinheit da oben, die Einundzwanzigste?«
»Ja. Aber sie haben zu wenige Frontsoldaten.« Hilda hatte Gerüchte über die Truppen im Feld gehört – acht Divisionen, um die hundertfünfzigtausend Mann, und weitere vierzigtausend nördlich der Themse. Ohne den Verlust der BEF hätten es doppelt so viele sein können. Man glaubte, dass die Deutschen eine Streitmacht aufbieten konnten, die der britischen mindestens um das Doppelte überlegen war. »Wir sollten nicht so reden«, sagte Hilda. »Gerüchte verbreiten.«
»Aber hast du denn nicht das Bedürfnis zu reden?«, fragte Ben und lachte nervös. »Ich bin mit einem aktiven Gehirn geschlagen, Hilda. Ich bin Akademiker, Herrgott noch mal, ich habe mit Gödel persönlich zusammengearbeitet. Und jetzt soll ich Löcher in den Boden graben.« Er ließ den Finger an der Schläfe kreiseln. »Ich muss einfach pausenlos nachdenken und mir über alles klar werden.«
»Ja, und du quasselst in einem fort davon«, sagte Tom nüchtern. »Ich kann dir nur raten, die Sonne zu
genießen, solange sie scheint.« Er stieß seinen Spaten wieder in die Erde.
»Ich glaube, das war ein Wink mit dem Zaunpfahl«, sagte Ben. »Du hast gesagt, du hättest Nachrichten für mich?«
»Kannst du Freitagvormittag in die Stadt kommen? Zu uns nach Hause. Gary hat dir was zu sagen, bevor er zu seiner Einheit aufbricht – wir beide.«
Ben nickte. Er hatte Gary nach dessen Rückkehr von Dünkirchen sehr geholfen, und die beiden waren enge Freunde geblieben.
»Und ich weiß, dass Mary Wooler Material für dich hat«, fuhr Hilda fort. »Irgendwas Historisches.«
Bens Augen glänzten. »Ich denke, die Kriegsanstrengungen können für ein paar Stunden ohne mich auskommen. Wir sehen uns dann,
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