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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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heutigen Deutschland.
    Kurz darauf wurden die Gefangenen mit vorgehaltener Waffe nach draußen geführt. Dort waren andere Gefangene, hierhergebracht von ihren Stellungen entlang der Invasionsküste, reguläre Soldaten, Angehörige der Home Guard und ein paar Flieger mit den blauen Uniformen und Lederjacken der RAF. In der Festung herrschte reger Betrieb; Fahrzeuge wurden gewartet, Pferde gefüttert, sogar Fahrräder geölt. In der Hoffnung, etwas Nützliches zu erfahren, lauschte Ben den deutschen Gesprächfetzen um ihn herum, hörte aber nur das typische Soldatengemecker über kaltes Essen und den Alkohol- und Frauenmangel an diesem matschigen Ort.
    Die Männer waren allesamt Überlebende der gestrigen Kämpfe, dachte Ben; bis auf die wenigen Fallschirmjäger konnte kein einziger Deutscher auf andere Weise hierhergekommen sein als über diesen tückischen Kiesstreifen. Alle trugen sie den Geruch des Krieges an sich, mit ihren ungewaschenen Gesichtern und schmutzigen Kleidern, den Geruch von Kordit, Diesel, Benzin und Staub, von Brand und Blut.
    Die Gefangenen wurden zur Straße nach Bexhill geführt. Dort bildete sich eine Kolonne – Männer, Pferde, Fahrzeuge, Geschütze, sogar ein Schwimmpanzer.
Ben vernutete, dass diese Einheiten nach Bexhill und vielleicht auch nach Hastings wollten. Was die Gefangenen betraf, so würde man sie vielleicht in ein Kriegsgefangenenlager bringen. Ben wusste nicht, wohin es ging, und vermutlich brauchte er es auch nicht zu wissen; ihm blieb ohnehin keine Wahl, er konnte nichts anderes tun, als zu gehorchen und zu überleben.
     
    Als die Kolonne sich in Bewegung setzte, ging Ernst hinter dem Panzer her. Der war für seine Schwimmlandung wasserdicht gemacht worden, doch jetzt hatte man die schützenden Abdeckungen und den Schnorchel entfernt, und sein Geschützturm drehte sich forschend hierhin und dorthin, während die Besatzung das Fahrzeug ausprobierte. Es gab eine ganze Reihe Lastwagen, einige mit Meerwasserflecken auf ihren Planverdecken. Die Pferde waren vor Karren und mobile Feldgeschütze geschirrt, und die Infanterie marschierte in Reih und Glied zu beiden Seiten der Straße. Einige Soldaten fuhren Fahrrad; viele der Drahtesel stammten aus Holland und waren in den Invasionskähnen herübergebracht worden. Es gab sogar ein paar Angehörige von Kommandotrupps auf Motorrädern; sie wurden als Kundschafter eingesetzt und fuhren vor der Hauptkolonne her.
    So marschierten sie von Pevensey aus nach Norden. Ihr erstes Ziel, ein Ort, der auf der Landkarte des Leutnants den Namen Windmill Hill trug, lag rund acht Kilometer weiter im Landesinneren. Bald ließen sie die ziemlich verfallenen Strandhäuser bei Pevensey
hinter sich. Die Kolonne folgte kleinen Straßen und Landwirtschaftswegen, kam jedoch auf den Salzmarschflächen gut voran. Der Tag blieb grau, selbst als es heller wurde, und der Nieselregen und der Nebel waren deprimierend. »Wenn das England ist, kann Churchill es behalten«, murmelte einer der Männer.
    Doch Ernst, der mit schwingenden Armen und ausgreifenden Schritten neben seinen Kameraden einherging, spürte, wie das Blut durch seine Adern strömte, wie sein Herz pumpte und die saubere englische Luft seine Lungen füllte, und seine Lebensgeister erwachten von Neuem. Warum auch nicht? Er war jung, er war stark, er hatte eine gute Ausbildung genossen und gehörte zur erwiesenermaßen besten Streitmacht der Welt. Er wagte einen Blick nach vorn, in die Zukunft. Möglicherweise würde er in London sein, wenn der Führer dort feierlich einzog – vielleicht mit einem Flusskahn, auf der Themse. Was für ein großer Tag das sein würde!
    Die Männer begannen, ein Marschlied zu grölen – »Bomben auf Engeland«, ein beliebter Gassenhauer an den französischen Stränden.
    Aber diese Stimmung hielt nicht lange vor. Flugzeuge brummten über den Himmel, verborgen von der niedrigen Wolkendecke. Ernst zuckte jedes Mal zusammen, wenn eins in die Nähe kam; auf dem Kontinent hatte er gesehen, wie Soldatenkolonnen im Tiefflug angegriffen worden waren. So etwas blieb ihnen jedoch erspart. In der Kolonne machten Gerüchte die Runde, dass die RAF heute die Einschiffungshäfen
in Frankreich und die zurückkehrenden Flotten von Kähnen und Schleppern aufs Korn nahm, um die zweite Welle der Invasion zu stören.
    Und im Lauf des Vormittags kamen sie immer langsamer und unregelmäßiger voran. An einer Straßenkreuzung in der Nähe eines Pubs namens Lamb Inn, einer Stelle, die die Ebene

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