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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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stieß sie auf den Hauptstrom
der Flüchtlinge, die zu Fuß auf dem Weg aus der Stadt waren; sie trotteten mit ihren Karren, Schubkarren und Kinderwagen dahin, ein Fluss aus Menschen.
    Es waren auch viele Fahrzeuge unterwegs, Privatwagen, Busse, LKWs und Krankenwagen; zumindest fuhren sie alle in dieselbe Richtung, nach Norden und aus Hastings hinaus, und Polizisten und ARP-Warte schickten die Fußgänger von der Straße, damit der Verkehr nicht stockte. Ein paar Fahrräder schlängelten sich durch die Menge; das war eine vernünftige Fortbewegungsweise, wenn man damit zurechtkam. Mary sah einen Burschen auf einem Fahrrad, der sich am Heck eines Lastwagens festhielt und mitgezogen wurde, als das Fahrzeug vorwärts pflügte.
    Die Polizisten und Warte hielten die rechte Spur frei, die in die Stadt zurückführte, aber dort war das Verkehrsaufkommen gering. George zufolge hatten die Behörden Pläne, um solche Vorkommnisse wie auf dem Kontinent zu vermeiden, wo Flüchtlingsströme Militärtransporte zum Zwecke eines Gegenangriffs blockiert hatten; darum hatten die Polizisten Landkarten bekommen, in denen einige Routen farbig markiert worden waren: Die gelben konnten von Zivilisten benutzt werden, die roten waren dem Militär vorbehalten. Es hätte vielleicht besser geklappt, hatte George trocken bemerkt, wenn die Karten in den richtigen Farben gedruckt worden wären.
    Es widerstrebte Mary, sich in die dahinschlurfende Menge einzureihen, weil es bedeutete, ihre Individualität aufzugeben. Aber ihr blieb nicht anderes übrig. Sie
trat vor und fand einen Platz hinter einem Jungen, der eine Schubkarre schob, vor einer Mutter mit zwei Kindern in einem Kinderwagen und neben einem alten Mann, der sich auf eine stämmige Frau stützte, die seine Gattin sein mochte. Und dann konnte sie nichts mehr tun, als mit den anderen mitzugehen.
    Sie kamen an stehen gelassenen Fahrzeugen vorbei, die den Geist aufgegeben hatten oder denen das Benzin ausgegangen war; man hatte sie ohne viel Federlesens von der Straße geschoben. Mary sah nicht viele Militärfahrzeuge. Die Karawane bestand größtenteils aus Fußgängern. Sie stapften mit ihren Kindern auf dem Rücken dahin, und ihre Schubkarren und Kinderwagen waren mit Gepäck und Töpfen und Pfannen beladen. Sie machten einen sehr stoischen Eindruck. Vielleicht half ihnen der Nationalmythos von der bulldoggenartigen englischen Zähigkeit, sich zusammenzureißen. Churchills Rhetorik, die immer noch ihren Zauber wirkte. Aber Mary sah auch viele abgehärmte Gesichter und sonderbar abwesende Mienen – jede Menge Traumata, obwohl dieser schreckliche Tag noch längst nicht vorbei war. Wie seltsam, dachte Mary, dass sie noch vor ein paar Tagen zusammen mit all diesen Leuten in einer Stadt aufgewacht war, in der die Milch ausgetragen wurde und die Post und die Zeitungen kamen und in der man damit rechnen konnte, dass die Geschäfte morgens pünktlich aufmachten. Jetzt war all das über Bord gegangen, und diese britischen Bürger waren einfach nur noch Flüchtlinge, ohne Würde und mit sehr wenig Hoffnung. Es war die Szenerie
einer Bevölkerung auf der Flucht, wie einem Buch von H. G. Wells entsprungen.
    Mary kam an einer Fabrik in den Außenbezirken der Stadt vorbei. Hinter einem hohen Drahtzaun hatte man hier Komponenten für Gasherde gefertigt, aber bei Kriegsausbruch war das Werk in eine Munitionsfabrik umgewandelt worden. Jetzt wurde sie systematisch zerstört. Eine Hand voll Frauen schleiften Geräte aus den Gebäuden und rückten ihnen mit Vorschlaghämmern und Eisenstangen zu Leibe. Jede Fabrik sollte einen Plan haben, ihre Ausrüstung funktionsunfähig zu machen, damit sie den Feinden nicht in die Hände fiel. Die Frauen trugen Arbeitskittel und Kopftücher. Sie waren als Ersatz für die Männer rekrutiert worden, die ans Militär verloren gegangen waren, und sahen aus, als hätten sie Spaß an der Sache. Vielleicht kam es ihnen wie ein Urlaub vor, das Ende der stumpfsinnigen und gefährlichen Arbeit, mit der sie während des Kriegsjahres ihre Zeit verbracht hatten.
    Sobald sie aus der Stadt ins offene Land kamen, schien niemand mehr die Führung zu haben. Es ließen sich keine Polizisten oder ARP-Warte mehr blicken, außer den wenigen, die sich dem Flüchtlingszug angeschlossen hatten. Und trotzdem gingen sie weiter, schleppten sich schrecklich langsam die paar Kilometer nach Battle. Mary war mittlerweile schmutzig, durstig, hungrig und müde; sie schwitzte, und die Füße taten ihr weh;

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