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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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drehte sich zu ihrem Fahrer um. »Das war eine Vergeltungsmaßnahme. Richtig?«
    Er sah sie nervös an.
    »Kein Englisch, hm? Da hat euer Timing nicht ganz hingehauen, oder? Wäre ich schon ein bisschen weiter weg gewesen und hätte die Schüsse nicht gehört, hätte ich mir vielleicht nicht alles zusammenreimen können. Ich bin nicht so klug wie die arme Hilda, was? Und ich bin diese Art von Krieg nicht gewöhnt. Na ja, keine Angst, Fritz, ich mache dir keine Schwierigkeiten. Fahr einfach weiter. Ich nehme mich schon zusammen, du wirst sehen.«
    Und das tat sie. Sie nahm sich zusammen, bis sie nach Hurst Green kamen, in ein anderes verlassenes kleines Dorf, wo erstaunlicherweise ein grün lackierter Bus auf sie wartete. Der Fahrer, ein britischer Soldat,
entbot seinem deutschen Pendant sogar einen militärischen Gruß. Der Brite schien überrascht zu sein, dass sie allein war, aber Mary stieg einfach in den Bus und blaffte: »Kein Wort. Fahren Sie einfach. Und wenn wir in Tunbridge Wells sind, suchen Sie mir ein verdammtes Telefon.«

XXX
    25. September
    »Morgen, die Damen.« Unteroffizier Fischer kam durch die Loungebar gestampft. Seine Stiefel polterten über den mit Stroh bestreuten Steinboden des Pubs. Mit seiner behandschuhten Rechten zog er Vorhänge auf. An einem riss er derart heftig, dass er sich von seinen Haken löste. Das Fenster war ein blaugraues Rechteck. »Es ist Mittwochmorgen, und ihr seid immer noch in England.«
    Die Männer bewegten sich unter ihren Armeedecken wie riesige Schnecken. Ihre Stiefel und Gewehre stapelten sich an den Wänden der Bar.
    Ernst warf einen Blick auf die große Eisenbahnuhr an der Wand. Fünf Uhr morgens, englische Zeit. Er stöhnte. Er hörte ein fernes Rumpeln, wie Donner. Aller Wahrscheinlichkeit nach war es kein Unwetter. Er setzte sich auf und rieb sich das Gesicht. »Heute geht’s los, stimmt’s? Der Durchbruch.«
    »So ist es, Trojan. Und ihr hübschen Jungs habt das Privileg, der Siebten Panzerdivision von hier aus zu folgen, von Uckfield bis nach Guildford.«
    »Wo, in aller Welt, ist Guildford?«
    »Ich weiß nicht mal, wo Uckfield ist.«

    »Ich sage Ihnen, wo Guildford ist, Kieser. Nämlich auf der Linie des Ersten Operationsziels des OKH. Und falls – wenn – wir es heute erreichen, haben wir in fünf Tagen geschafft, wofür im Plan des Führers zehn vorgesehen waren. Und dann sind wir raus aus diesem Igelland, wo in jedem Pisspott ein Partisan sitzt, und lassen die Panzerdivisionen von der Leine, und schon läuft hier alles genauso wie in Frankreich.«
    »Wir kriegen alle ’nen Orden«, meinte Kieser.
    »Ihren hefte ich mir selbst an die Brust. Ich persönlich würde gern Oxford sehen. Jetzt bewegt eure hübschen Ärsche, wir treten in einer halben Stunde an.« Er stampfte hinaus.
    Die Männer rührten sich. Sie setzten sich auf und schoben ihre Decken beiseite. Der Gestank von Käsemauken und alten Fürzen, der unter den Decken gefangen gewesen war, erfüllte die Luft. Kieser wedelte mit einer Hand. »Herr im Himmel, Leute. Führerbefehl siebenundvierzig. Soldaten der Sechsundzwanzigsten Division dürfen sich morgens keinen Glimmstängel anzünden.«
    Die Männer bewegten sich langsam. Sie wussten alle, dass Fischer ein bisschen weichherzig war und man sich straflos noch ein paar Minuten Schlaf gönnen konnte.
    Ernst stand auf. Er trug seine Unterhose, seine Weste und seine Strümpfe, und er schnappte sich den Beutel mit seinem Rasiermesser und einem Stück Seife. Er stieg über die Körper der sich regenden Männer hinweg und ging zur Tür. Der Boden war klebrig von
abgestandenem Bier. Der Pub in diesem Ort namens Uckfield war für die hier einquartierten Männer eine große Enttäuschung gewesen. Irgendein englischer Mistkerl hatte alle Spirituosen gestohlen und war den Fässern hinterm Tresen mit einer Axt zu Leibe gerückt. »Diese englischen Partisanen kämpfen unfair«, hatte Unteroffizer Fischer gesagt.
    Ernst trat aus dem Barraum an die frische, kalte Luft. Vor der Toilette hatte sich bereits eine Schlange gebildet, vier oder fünf Männer in schmutziger Unterwäsche mit Handtüchern um den Hals, die sich die Arme rieben, um warm zu werden. Die Pflastersteine waren glitschig vom Tau, und Ernst zog seine Wollstrümpfe aus und steckte sie in den elastischen Bund seiner Unterhose. Lieber nasse Füße als nasse Strümpfe.
    Er hörte eine ferne Explosion. Sie kam von rechts, von Süden, aus Richtung der Küste. Als er dorthin schaute, sah er

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