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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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einen verblassenden Lichtschein.
    »Das war’n echter Kaventsmann«, brummte jemand. »War bestimmt über zwanzig Kilometer von hier.«
    Ernst hörte das Dröhnen von Motoren. Als er aufblickte, sah er Flugzeuge, die sehr hoch oben über den Himmel zogen, ohne Lichter, nur Silhouetten vor dem stählernen Grau, wie Pappfiguren. Sie flogen von Norden nach Süden.
    »Göring wird diese Scheißkerle wie Fliegen zerquetschen«, sagte jemand gähnend.
    »Aber er hätte die RAF mittlerweile eigentlich schon loswerden müssen.«
    »Hat nichts mit uns zu tun, Jungs«, sagte der Mann
an der Spitze der Schlange. Er hämmerte an die Klotür. »Was machst du da drin, Wilhelm? Wir frieren uns die Eier ab.«
    Weitere Flugzeuge glitten über sie hinweg. Sie kamen alle von Norden, eine Welle nach der anderen; kein Flugzeug der deutschen Luftwaffe griff sie an, und kein einziger Flakschuss wurde abgefeuert.

XXXI
    Als Gary das Hauptquartier betrat, empfing ihn ein Sperrfeuer von Blitzlichtern und Rufen, Letztere teils im näselnden amerikanischen Tonfall. »Hierher, Gary!« – »Hier drüben, Corporal Wooler!« – »Gary! Lächeln Sie mal für die Leute daheim, Gary!«
    Unsicher und widerwillig stand er da, mit dem Stabsoffizier, den ihn begleitet hatte, an seiner Seite. Sie befanden sich hinter den britischen Linien, in Alton, ein paar Kilometer von der Linie zwischen Petersfield und Farnborough entfernt, wo Garys Division konzentriert war.
    Abseits des Blitzlichtgewitters ging die Arbeit des Hauptquartiers weiter. Gary blickte auf den großen Kartentisch im Parkett unter ihm. Die Karte zeigte Südengland, eine sattgrüne Halbinsel, festgehalten von der grauen Masse Londons am nördlichen Rand und eingefasst vom blassen Blau des Meeres im Süden. In diesem sehr alten Land gab es zahllose Städte und Dörfer sowie ein Flechtwerk von Straßen, die sich um das klumpige Braun von Bergketten und Hügeln schlängelten. Nun war es jedoch von den kühnen roten Strichen der Verteidigungslinien und einem groben schwarzen Gekrakel entstellt, bei dem es sich um
die Grenzlinien der besetzten Gebiete handeln musste. Farbige Klötzchen, die Einheiten von Männern und Panzerfahrzeugen darstellten, sprenkelten die Karte; Wrens schoben sie mit langstieligen Holzschaufeln hin und her, wie Croupiers an einem riesigen Roulettetisch. Über der Küste zwischen Brighton und Dover hing eine Wolke von Spielzeugflugzeugen, und kleine Schiffe arbeiteten sich durch den Kanal.
    Die Wrens trugen Kopfhörer und redeten in einem fort. An allen vier Wänden standen Telefone und Funkempfänger. Offiziere in den Uniformen aller Dienstgattungen schauten zusammen mit ein paar Zigarre rauchenden Zivilisten, vielleicht Ministern, von Balkonen mit Geländern aus zu. Die Blitzlichter flammten noch immer auf.
    Nichts von alledem kam Gary real vor. Das lichterfüllte Parkett, das kontrollierte Stimmengemurmel, die Blitzlichter, der Geruch von Zigarrenrauch verliehen dem Ganzen etwas Traumartiges. Tatsächlich wusste er nicht genau, wie er es geschafft hatte, weiterhin seine Pflichten zu erfüllen, nachdem seine Mutter vor zwei Tagen mit den Informationen über Hilda zu ihm durchgekommen war. Mechanisch erledigte er seine Aufgaben. Aber er fühlte sich, als würde er weder schlafen noch wach sein.
    Ein Offizier der Royal Navy, seiner Uniform nach zu urteilen, marschierte auf Gary zu. Er war vielleicht vierzig Jahre alt und wirkte aufgeweckt und intelligent. Sein hageres, gerötetes Gesicht verlieh ihm das Aussehen eines Menschen, der sich viel im Freien aufhält,
und er trug einen präzise geschnittenen schwarzen Schnurrbart. »Corporal Wooler? Ich bin Captain Mackie, RN – Tom Mackie, MI-14. Hören Sie, diese Farce tut mir leid. Ich weiß, Sie wären lieber bei Ihrer Einheit.«
    »Ja, Sir …«
    »Aber in diesem verfluchten Krieg sind Bilder und die Präsentation von Nachrichten ebenso wichtige Faktoren wie Stiefel und Bodengeschütze. Also, bringen wir’s hinter uns und schmeißen wir diese Bande von Schreiberlingen und Blitzlichtvergeudern dann aus unserem Hauptquartier, ja?« Er ergriff Garys Hand und wandte sich den Kameras zu, die noch hektischer blitzten. Durch ein wie festgeklebt wirkendes Grinsen sagte Mackie: »Natürlich sind wir stolz, dass Sie beschlossen haben, die Uniform des britischen Heeres zu tragen. Aber es ist schade, dass Sie nicht ein bisschen amerikanischer aussehen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Ich hätte Sporen anlegen und einen

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