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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Stunde muss ich wieder raus, wegen der Ausgangssperre«
    »Ach, wirklich?« Sie schmollte, löste ihre übereinandergeschlagenen Beine und spreizte sie ein wenig. »Es war schon so ein langer Tag.«
    Er wandte sich ab. »Tja, meiner ist noch nicht vorbei.« Er sah sich in dem Zimmer um. »Hast du was gegessen?«

    Sie wedelte mit der Hand. »Es gab einen Empfang in der Burg. Wegen des Feiertags, weißt du. Wirklich sehr spektakulär. Mit einem Feuerwerk. Hast du’s gesehen? Ich habe dort was gegessen. Nur Knabberkram. Du kennst mich, ich esse wie ein Kaninchen.«
    »Wohingegen ich ein verdammtes Kaninchen essen könnte.«
    »Ach, sei nicht so ein alter Brummbär.« Sie wandte sich wieder dem Fernseher zu.
    George ging in die Küche. Er wusste, dass dort eine Dose Frühstücksfleisch war, sofern Julia sie nicht stibitzt hatte. Seit dem Verlust seiner Tochter hatte er gelernt, wie man sich etwas Ordentliches zurechtbriet. Er machte sich geräuschvoll in der Küche zu schaffen, suchte nach einer Bratpfanne und etwas Pflanzenöl und hoffte, dass der Gasdruck an diesem Abend ausreichen würde. Er war müde und irgendwie verärgert, dass Julia ihm nichts zu essen gemacht hatte, und an diesem kleinlichen Ärger hielt er sich fest. Das war immer noch besser, als darüber nachzudenken, was er heute getan hatte.
    Selbst am Geburtstag des Königs mahlten die Mühlen der Okkupation unbeirrt weiter. Schon vor sechs Monaten waren Anweisungen erlassen worden, denen zufolge die Juden der Stadt bestimmte Tätigkeiten – zum Beispiel als Lehrer oder Polizisten – nicht mehr ausüben durften. Nun hatte der Umsiedlungsprozess begonnen. Im Moment ging es einfach nur darum, männliche Juden im arbeitsfähigen Alter in die Polizeireviere einzubestellen. Die meisten von ihnen erschienen
auch dort. Da die Deutschen alles mit Hilfe ziviler Behörden abwickelten, waren es Polizisten wie George, die diese verwirrt dreinschauenden jungen Männer verhörten, von denen einige sich gar nicht für Juden hielten. Die ersten Transporte hatten bereits den Kanal überquert und die Männer in ein Sammellager in Drancy gebracht, von wo aus sie zu den großen Arbeitsprojekten des Reichs im Osten weitergeschickt werden sollten. Es war alles zum Kotzen, eine endlose Fron aus Bürokratie, Verwirrung und Grausamkeit.
    Und George wusste, was als Nächstes kommen würde. Harry Burdon zufolge geschah es auf dem Kontinent bereits, in Frankreich, Belgien und Holland. Bald würden die gewaltsamen Massenverhaftungen beginnen. Und dann würden nicht mehr nur Männer im arbeitsfähigen Alter abtransportiert werden, sondern auch alte Leute, Frauen und sogar Kinder, und du würdest dir kaum einreden können, dass sie in Arbeitslager kommen, nicht wahr, George? Er hielt es immer noch für das Beste, seine Pflicht zu tun. Aber wenn die Besatzung lange genug andauerte, dass solche Dinge während seiner Dienststunden geschahen – nun, dann würde er vielleicht Entscheidungen treffen müssen.
    Während er die Frühstücksfleischscheiben mit ein wenig Teig in die Pfanne gab, kam Julia in die Küche. Sie lehnte sich rauchend an den Türrahmen; sie hatte ihre Jacke jetzt ausgezogen und trug nur noch ihre Bluse. Ihre Beine waren nackt.
    »Du siehst schweinisch aus«, sagte er zu ihr.
    »Ich hab heute Morgen gebadet.«

    »Du weißt, was ich meine.«
    »Dann nehme ich’s als Kompliment. Es war ein großes Tamtam, weißt du.«
    »Was denn?«
    »Der Empfang zum Geburtstag des Königs. Sie waren alle da. Heydrich war der große Star in der Stadt.« Reinhard Heydrich war der Chef des SD, des Sicherheitsdienstes der Partei. Außerdem war er Reichsprotektor der besetzten Gebiete. »Und Josef Trojan ist aufgetaucht und hat ein Belobigungsschreiben von Himmler geschwenkt …« Sie nannte noch mehr Namen.
    Er hörte mit einem Ohr zu, ohne sonderlich großes Interesse. Die Deutschen waren ständig mit politischen Aktivitäten beschäftigt. All die großen Nazi-Bosse hatten ihre Stellvertreter hier im Protektorat – Himmler zum Beispiel diesen Trojan. »Merkst du eigentlich«, fiel er ihr ins Wort, »dass die Namen, die du erwähnt hast, ausschließlich die von Deutschen sind? Die ergehen sich untereinander in ihren Intrigen, ihrer Arschkriecherei und ihren Dolchstößen in den Rücken, als existierten wir anderen gar nicht.«
    Julia lachte. »Ich schätze, zur Zeit der britischen Oberherrschaft in Indien war’s nicht anders. Ach, übrigens, ich habe einen interessanten Burschen

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