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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Schwuchtel«, rief einer der Männer.
    Willis drehte sich um und grinste. »Und du würdest gern mal meine Schweinswurst lecken, stimmt’s, Inselaffe?«
    »Bisschen früh am Morgen dafür, Betty Grable«, murmelte Danny Adams, der rangälteste Brite in diesem Lager für die Mannschaften. Der raubeinige Liverpooler war eigentlich Unteroffizier, ein Sergeant-Major.
    Die Männer beruhigten sich und ließen den Rest des Appells über sich ergehen.
    Gary interessierte das alles nicht im Geringsten. Er stand einfach da, in einen Mantel gehüllt, der noch die Blutflecken von jenem Tag vor einem Jahr trug, an dem er schon nach wenigen Stunden im Kampfeinsatz gefangen genommen worden war. Er hielt Ausschau nach Ben Kamen. Die Männer der Arbeitskommandos neigten dazu, sich abseits der »Hausfrauen« zusammenzuscharen, wie sie im Stalag-Jargon hießen, der Männer, die im Lager blieben. Aber Gary konnte Ben an diesem Morgen nirgends entdecken.
    Das Frühstück bestand aus einer Schüssel wässriger Kartoffelsuppe und einer Blechtasse der bräunlichen Flüssigkeit, die die Gorillas »Tee« nannten. Dann gingen die Männer in ihren Arbeitstrupps im Gänsemarsch zu den Lagertoren, vorbei an den massiven
Gebäuden, die früher das Büro eines Schulleiters und einen Sanitätsraum beherbergt hatten, in dem Krankenschwestern die Köpfe kleiner Jungen nach Läusen abgesucht hatten; nun saß ein deutscher Soldat mit einem Maschinengewehr in einem Wellblechverschlag auf dem Dach.
    An den Toren bestiegen sie selbstständig ihre Lastwagen. Ein junger Mann namens Joe Stubbs sah Gary kommen und tat so, als helfe er ihm auf den Wagen. Inzwischen war es schon ein Standardwitz unter den Leuten, dass Gary mit seinen sechsundzwanzig Jahren ein alter Mann oder vielmehr ein alter Yank war.
    Vom Stalag zu dem alten Römerlager bei Richborough, wo der Bau des Monuments seinen schleppenden Fortgang nahm, waren es nur ein paar Kilometer. Schweigend ertrugen die Männer die holprige Fahrt.
    In Richborough zogen Gary und seine Kameraden ihre Mäntel und Jacken aus und machten sich an die Arbeit. Gary musste Beton mischen und dazu Sand und Mörtel in den Rachen einer mahlenden Mischmaschine schaufeln. Nach einem Jahr hatten die Männer längst jedes Gramm Fett eingebüßt. Ihre Ellbogen und Knie standen spitz hervor, ihre Gesichter waren hager.
    An die hundert Mann – Kriegsgefangene und zivile Kräfte – arbeiteten hier in Trupps, die sich über das ganze Lager verteilten. Richborough hatte sich in eine Baustelle verwandelt; über die römischen Gräben waren ohne viel Federlesens Rampen gelegt worden. Ein
steter Strom von Lastwagen schaffte tagein, tagaus Bruchstein für den Kern, Marmorblöcke und andere Materialien heran, die von den Arbeitern entladen wurden. Im Zentrum von allem stand ein Wald aus Gerüsten, aus dem sich bereits die vier riesigen Füße des doppelten Triumphbogen-Monuments erhoben.
    Der Morgen ging in einen trüben Herbsttag über, der Himmel ein grauer Deckel, und ein Hauch des Regens, der bald einsetzen würde, prickelte in der Luft. Die Männer murrten, aber Gary hatte nichts gegen die Arbeit. Die körperliche Anstrengung machte es leichter, nicht nachzudenken. Aber man arbeitete langsam; die Stalagkost – Kartoffeln, Kohlrüben und hin und wieder ein Stück Fleisch – lieferte nicht genug Brennstoff für größere Anstrengungen. Es war kein angenehmer Gedanke, dass die Kälte an diesem Tag einen Vorgeschmack vom kommenden Winter bot; der letzte war schlimm genug gewesen, und Gary hatte seither sein Fett verloren.
    Die Männer arbeiteten, die Wachleute patrouillierten. Die meisten von ihnen waren Wehrmachtssoldaten. Aber heute, vielleicht wegen des Seelöwen-Jahrestags, wurden die Wehrmachtsangehörigen durch Männer in Khaki-Uniformen ergänzt. Sie trugen Armbinden mit dem Hakenkreuz über dem Georgskreuz, dem Symbol des Albion-Protektorats, und wenn sie sprachen, hörte man, dass sie aus Kent, Sussex und Hampshire, ja sogar aus London kamen. Es waren Mitglieder der Landwacht, eines deutschen Pendants der Home Guard, Engländer, die sich freiwillig zur Arbeit für
die Protektoratsbehörden gemeldet hatten. Als diese Gestalten das erste Mal aufgetaucht waren, hatten die Gefangenen sich alle Mühe gegeben, ihnen das Leben schwer zu machen; sie hatten versucht, ihnen die Blechdeckel mit Schotterstein-Würfen vom Kopf zu schlagen, oder den schlammigen Boden mit Holzstücken gespickt, aus denen spitze Nägel ragten. Aber

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