Diktator
kennengelernt. Einen Engländer, meine ich. Hat behauptet, ein Cousin zweiten Grades des Königs zu sein.«
»Welchen Königs?«
»Nun, da Edward und George Brüder sind, ist das eine ziemlich dumme Frage, oder? Tatsächlich ist dieser
Bursche ein weiterer Edward, Viscount von Soundso. Er kommt aus London und behauptet, dort mache eine Theorie die Runde, derzufolge all dies eine Strafe Gottes sei.«
»Wofür?«
Sie blies Rauch durch die geschürzten Lippen; ihr Lippenstift war ein wenig verschmiert. »Dafür, dass Edward zur Abdankung getrieben wurde, natürlich. Von diesem Tyrann Stanley Baldwin – selbst Churchill fand das falsch. Und jetzt erntet England den Sturm.«
»Was für ein Schwachsinn. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter.«
»Tja, Ansichtssache. Heydrich hat ziemlichen Gefallen an dem Viscount gefunden, glaube ich. Er hat gesagt, er bewundere unsere Aristokratie.«
»Ein Verräterpack, wenn du mich fragst.«
Julia seufzte. Sie ging zu ihm hinüber und schlang ihm die Arme um die Taille. Er spürte ihren Atem in seinem Nacken, das Rascheln der Bluse an seinem Rücken, die geschmeidige Festigkeit ihres Körpers nur ein paar Schichten Stoff von seinem entfernt. »Ach, mein lieber George, du hast alles immer so satt, nicht wahr? Du verabscheust die meisten Engländer mehr als die Nazis, glaube ich.«
»Denk an mein gebratenes Frühstücksfleisch.«
»Ach, zur Hölle mit deinem ekligen Fraß.« Sie zog an ihm, drehte ihn um. Ihr Gesicht war nah an seinem – große Augen, großer Mund –, und ihr Haar war eine goldene Wolke im trüben Licht.
»Teufel noch mal«, flüsterte er. »Mit dir liege ich deutlich über meinem Niveau.«
»Du sagst die albernsten Sachen.« Ihre Lippen legten sich auf seine, und ihre Zunge schnellte lebhaft vor; er schmeckte Zigarettenrauch, Wein und einen Hauch von Gewürz, ein Überbleibsel ihres Empfangs mit den Nazis. Sie packte seine Eier; ihre Bewegungen waren selbstsicher und entschlossen. »Und, verabscheust du mich?«, fragte sie mit rauchiger Stimme.
»Das fragst du mich jeden Tag.«
»Du verabscheust, was ich tue. Die Leute, mit denen ich zusammenarbeite. Alles, woran ich glaube.« Und, was unausgesprochen blieb, er verabscheute diejenigen ihrer Kollegen, die seine Tochter kaltblütig exekutiert hatten. »Und trotzdem stehen wir jetzt hier. Komisch, was?«
»An diesem verdammten Krieg ist nichts komisch.«
»Dann schmeiß mich raus.« Sie massierte ihn zwischen den Beinen, während ihre andere Hand in sein Kreuz drückte. »Na los. Stoß mich einfach weg.«
»Du und deine verdammten Spielchen. Du hast doch einen Dachschaden.«
»Das sagst du auch jeden Tag. Sag mir, dass ich gehen soll.«
Er packte ihre Handgelenke und löste ihre Hände sanft von seinem Körper. »Ich sage dir, dass du jetzt mal Schluss machen sollst. Ob du’s glaubst oder nicht, ich bin eher hungrig als geil, und dieses gebratene Frühstücksfleisch schreit nach mir.«
Sie lachte und wirbelte davon, raffte die Haare hinter
dem Kopf mit den Händen zusammen. »Manchmal klingst du wirklich so alt, wie du bist. Na schön, ich lass dich in Ruhe. Aber vergiss ja nicht, mich zu wecken, wenn du von der Ausgangssperre zurückkommst.«
VI
21. September
Sie befanden sich auf einem schlammigen Feld, dem ehemaligen Fußballplatz einer Grundschule für Jungen, das jetzt mit Stacheldraht abgezäunt und mit Wachtürmen und Waffen gesichert war. Im grauen Licht standen die Männer wie Baumstümpfe in ihren Reihen, schäbige Erscheinungen mit zerschlissenen Mänteln, Holzschuhen und geschorenen Schädeln. Die Wachposten der Wehrmacht gingen vor ihnen auf und ab, das Gewehr im Arm. Dies war der Morgenappell.
Der Stalag-Kommandant kam heraus und trat vor die Männer. Da dieser namenlose Sonntag der Seelöwentag sei, verkündete er, der erste Jahrestag der Invasion, bekämen die Gefangenen eine Aufstockung ihrer Ration, ein Stück Schweinswurst von ihren arischen Verwandten in Bayern, und die Mittagspause der Arbeitskommandos würde um eine Stunde verlängert. Unter den Angetretenen erhob sich das übliche ironische Jubelgeschrei.
Willis Farjeon, der in seinem blauen RAF-Mantel hoch aufgerichtet dastand, sagte leise: »Die guten alten Boches mit ihren Gedenktagen. Solange wir ’ne zusätzliche Runde Schlaf kriegen, können sie meinetwegen
so viele Gedenkfeiern veranstalten, wie sie wollen.«
»Ich wette, du würdest gern mal ’ne Gedenkfeier in meinem Arsch veranstalten, du alte
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