Diktator
schon auf damit, Herr Hauptmann. Was ist mit der verdammten Genfer Konvention?«
»Ein bisschen Tempo, bitte.« Der Hauptmann wandte sich ab.
»Was für ein Spaß«, sagte Willis Farjeon.
Murrend und mit langsamen Bewegungen gehorchten die Männer. Sie unterhielten sich leise. »Vielleicht bloß eine Entlausung.«
»Nein. Die verfluchte SS. Wahrscheinlich probieren sie ein neues Gas an uns aus.«
»Das würden sie doch nicht tun.«
»Warum nicht, verdammt? Ich sehe da draußen keine Schweizer Fahnen. Nee, wir sind dran, ich sag’s euch. Immer schön die Eier festhalten, Jungs.«
Der Kleiderhaufen wuchs rasch. Für die Männer war es ziemlich entwürdigend, auf diese Weise entkleidet zu werden; ihre Gelenke waren wie Walnussbeutel, ihre Genitalien wie Fleischknubbel unter ihren flachen Bäuchen. Zweifellos sah Gary genauso schlimm aus. Und der ohnehin schon kleine und schmächtige Ben wirkte in dieser Gesellschaft winzig, ja sogar knabenhaft.
Sie formierten sich zu ihren drei Reihen. Erneut sorgte Gary dafür, dass er in derselben Gruppe war wie Ben. Schließlich landete er direkt vor ihm. Willis stand hinter Ben und zwinkerte grinsend.
Der Vorhang wurde beiseitegezogen. Die Gefangenen wurden in ihren Reihen durch die Aula geführt, bis die Männer an der Spitze unmittelbar vor den Tischen standen, hinter denen die SS-Offiziere saßen. Sie begannen, irgendwelche Tests an ihnen vorzunehmen, und Gary sah Fotoapparate aufblitzen.
Während die ersten Männer abgefertigt wurden, schlurften die anderen langsam vorwärts, nackt und gedemütigt. Die bloßen Schultern von Garys Vordermann waren von Narben gestreift, als wäre er irgendwann einmal ausgepeitscht worden. Gary kam das alles unwirklich vor, diese seltsam deplatzierten Uniformen, Waffen und nackten Gefangenen in einer Schulaula, und alles in tiefster Nacht.
Er drehte sich um. »Hans?«, fragte er leise. »Alles in Ordnung?«
»Kann man nicht gerade behaupten«, flüsterte Ben. »Das sieht nicht besonders gut aus, Gary. Nicht für mich.«
»Ach, dem passiert schon nichts«, sagte Willis, der unmittelbar hinter Ben stand. »Aber wenn nötig, stärke ich ihm den Rücken.«Er legte seine Hand in Bens Nacken, so dass Ben sich ein wenig zurücklehnen musste, und machte stoßende Bewegungen mit seinen Hüften gegen Bens Hintern.
Einige der Männer schauten angewidert drein.
Andere lachten. »Hey, Farjeon, du kriegst ja ’n Ständer.«
»Nein, das ist ein ›Heil Hitler‹.« Weiteres Gelächter.
Gary holte aus und schlug Willis gegen die Schulter. »Lass die Pfoten von ihm, verdammt noch mal.« Ein Wärter trat näher und richtete warnend seine Waffe auf sie. Gary wandte sich ab, und Willis wich zurück. »Lass ihn einfach in Ruhe, Willis«, sagte Gary leise. »Er ist keine Puppe, mit der du spielen kannst.«
»Ist schon gut, Gary«, sagte Ben.
»Nein, ist es nicht. Ich bin nicht mal sicher, dass dieses Arschloch wirklich schwul ist. Er dominiert dich nur.«
»Schon möglich«, sagte Ben, ein wenig trotziger. »Aber … na ja, so ist das nun mal. Du weißt schon. Ich brauche ein bisschen Kontakt. Wie wir alle.«
»Lieber eine Beziehung, in der du schlecht behandelt wirst, als gar keine? Ist es das?«
»Ich glaube, Sie sind eifersüchtig, Corporal Wooler«, flüsterte Willis gehässig. »Aber ich frage mich, auf wen von uns.«
Gary erreichte die Spitze der Schlange. Während er mit herabhängenden Eiern vor dem Klapptisch stand, wurde er von einem Team von drei todernsten Brillenträgern untersucht. Sie fragten ihn nach seinem Namen, seiner Dienstnummer und seiner Stalag-Erkennungsnummer – die nannte er ihnen – und dann nach seinen familiären Verhältnissen, seinem Geburtsort, seinen Eltern und Großeltern, und diese Informationen verweigerte er. Sie erkundigten sich auch nach Krankheiten
und etwaigen Geburtsfehlern und wollten wissen, ob er geistesgestörte Verwandte, irgendwelche Schizophrenien oder manische Depressionen hatte, an Morphinsucht litt oder homosexuell war. Weitere Fragen, auf die er ihnen keine Antwort gab.
Die SS-Offiziere und Wissenschaftler hatten etwas von Buchhaltern an sich; sie machten sich Notizen, blätterten in Akten und würdigten den Mann vor ihnen kaum eines Blickes. Garys Weigerungen schienen keinen großen Unterschied zu machen, denn auf dem Tisch vor ihnen lag eine dicke Akte über ihn; jede Seite trug seinen Namen und seine Nummer. Obwohl der Text deutsch war, erkannte er so etwas Ähnliches wie einen
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