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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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»Herrje«, sagte Stubbs. »Es ist diese SS-Schnepfe.«
    Der SS-Offizier, der die Jungen hinausgeführt hatte, kehrte mit einer Frau an seiner Seite zum Monument zurück. Sie war hochgewachsen, trug ebenfalls eine schwarze SS-Uniform, und das Haar unter ihrer Uniformmütze war golden. Die Gefangenen bekamen nur sehr wenige Frauen zu sehen. Selbst einige Wachleute drehten sich um und blickten ihr nach.

    Stubbs stöhnte. »Schaut euch an, wie die mit dem Arsch wackelt.«
    »Ja«, sagte ein Mann, »das macht sie für dich, Stubbsy, sie hat dich bemerkt.«
    »Hey, seht euch den alten Matt an!«
    Henry »Matt« Black gehörte zum Trupp nebenan, der Blendsteine bearbeitete. Auch er war ein einfacher Soldat, ein Junge, nicht älter als Stubbs. Er hatte tatsächlich die Hose heruntergelassen und die Faust um seinen steifen Schwanz geschlossen.
    »Das macht er immer, dieser Idiot«, sagte Stubbs. »Kann nie die Hände von seinem Ding lassen.«
    »Macht doch jeder«, meinte jemand.
    »Ja, aber nicht so tolldreist im hellen Tageslicht.«
    Die Wachen kamen bereits auf Black zu, und die Männer feuerten ihn lauthals an, zum Höhepunkt zu gelangen, bevor sie bei ihm waren, als wäre es eine Art Wettlauf.

VII
    An diesem Abend herrschte rege Aktivität im Lager. Befehlsfahrzeuge fuhren durch das Tor ein und aus und brachten uniformierte SS-Leute sowie mit Hakenkreuzen und gotischen Schriftzeichen versehene Ausrüstungskisten, die in die Aula getragen wurden. Das rief einige Aufregung unter den Männern hervor, und diejenigen, die sich mit Fluchtabsichten trugen, spekulierten darüber, was sie wohl stehlen konnten.
    Doch Gary spürte die nervöse Anspannung unter der Aufregung. Sobald es irgendeine Änderung der Routineabläufe gab, machte man sich stets Sorgen, dass sich die ohnehin schon schlechte Lage noch weiter verschlechtern würde. Insbesondere wenn die SS auftauchte. Selbst die regulären Wehrmachts-Wachposten schienen nervös zu sein.
    Gary ging zu Bens Schlafraum. Es waren einfach zwei alte, provisorisch miteinander verbundene Klassenzimmer. Das Schulmobiliar war längst verschwunden und von der Einrichtung eines Kriegsgefangenenlagers ersetzt worden: Etagenbetten, Öfen, von der nackten Decke baumelnde Glühbirnen und kleine Schränke, die die Gefangenen aus Abfallholz gezimmert hatten. Aber man sah noch die Stelle an der Wand, wo früher
die Tafel gehangen hatte, und manchmal, da war Gary sicher, konnte man auch die Kreide riechen.
    Gary fand Ben. Er hatte auf eine Gelegenheit gehofft, mit ihm sprechen zu können. Aber Ben, »Hans«, hielt Hof im Zentrum einer kleinen Gruppe von Männern und schwafelte über Einstein, die allgemeine Relativität und das Leben und den Tod des Universums. Selbst Willis saß auf einem Bett, rauchte eine dünne Zigarette und hörte zu.
    So war es im Lager immer. Das Kommandosystem unterteilte die Gefangenen in zwei Gruppen, zwei Subkulturen. In den Kommandos konnte man arbeiten, man kam in den Genuss eines Tapetenwechsels, war an der frischen Luft und hatte die Kameradschaft derjenigen, mit denen man zusammenarbeitete. Die Hausfrauen, die nicht aus dem Lager herauskamen, hatten es in eine Art Quasselbude verwandelt. Sie malten und zeichneten; sie führten Tagebücher; sie inszenierten Aufführungen und veranstalteten Chorkonzerte; sie organisierten Seminare über alles Mögliche, von deutschen Militärabzeichen über Surrealismus bis hin zur Quantenphysik. Sie bezahlten sich sogar gegenseitig in Lagermarken für ihre Darbietungen. Es war einfach eine andere Art von Flucht, vermutete Gary.
    Und dann gab es auch noch die Liebesgeschichten. Sie kamen erheblich häufiger vor, als Gary erwartet hatte; die Stalag-Tunten, die sich das Gesicht anmalten und die Lippen mit Rote-Bete-Saft färbten, waren nur die Oberfläche. So etwas kam dabei heraus, dachte Gary, wenn Männer nur beieinander Trost suchen
konnten. Jetzt beobachtete er Willis, der seinerseits Ben beobachtete, und fragte sich, was wirklich zwischen den beiden lief.
    Er wartete eine Weile, doch als er sah, dass er vor dem Licht-aus wohl keine Chance mehr bekommen würde, mit Ben zu sprechen, verschwand er wieder, ging pissen und Zähne putzen und machte sich dann auf den Weg zu seinem eigenen Schlafraum.
    Als die Lichter gelöscht wurden, lag Gary in seiner Koje. Er lauschte, während das Stalag knarrend in die Nacht hineinfuhr, ein voll beladenes Schiff. Die rund zwanzig Männer in seinem Raum schnarchten und seufzten; man schlief

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