Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
einfuhr und sie das stickige Abteil verlassen konnte. Auf dem Bahnsteig wartete bereits eine weitere muntere WAAF-Frau auf sie.

XI
    15. Oktober
    Der Mittwochmorgen in Birdoswald war frisch und schneidend kalt, der Anfang eines hellen Herbsttags. Tom Mackie hatte das hiesige Bauernhaus als Operationsbasis requiriert, wie er Mary zur Begrüßung erklärte, nachdem sie von ihrem Hotel eingetroffen war. Doch als er sie auf dem Gelände herumführte, sah Mary, dass sich das Bauernhaus in viel ältere Ruinen schmiegte, die Überreste einer Römerfestung, die auf einem hoch gelegenen Areal unweit steil abfallender Felswände lag.
    »Ich kann verstehen, weshalb die Römer hierhergekommen sind«, sagte sie.
    »O ja, ein Militär würde auch heute wieder dieselbe Entscheidung treffen. Birdoswald – früher wurde es Banna genannt – war ein integraler Bestandteil des Verteidigungssystems um den Hadrianswall. Hat zu seinen besten Zeiten tausend Soldaten beherbergt. Offenbar mussten sie das Land trockenlegen, einen Wald roden und den zum Bau benötigten Kalkstein von weit her herbeischaffen. Hat dreihundert Jahre lang den Frieden gesichert – länger, wenn man’s recht bedenkt, als das heutige Großbritannien existiert, seit dem Act
of Union. Wenn wir auch so lange durchhalten, haben wir unsere Sache gut gemacht, hm?«
    Sie gingen zum Bauernhaus zurück. »Ziemlich hässlich, was?« Die letzte Renovierung war im viktorianischen Stil erfolgt. Die Architekten hatten das Haus mit Schießscharten ergänzt und ihm ein Aussehen verliehen, das Mary als »gotisiert« bezeichnet hätte. »Aber sie haben römische Steine wiederverwendet. Ich kann Ihnen einen Jupiter-Altar zeigen, der in eine Stallwand eingebaut worden ist. Und einiges deutet darauf hin, dass diese Stätte schon vor den Römern bewohnt war … aber ich bitte um Entschuldigung«, sagte er.
    »Wofür?«
    »Dass ich Ihnen auf die Zehen trete. Schließlich sind Sie die Historikerin.«
    »Ganz und gar nicht, Captain. Ich bin beeindruckt, dass Sie so viel wissen.«
    »Nun ja, Geschichte war schon immer so eine Art Hobby von mir. Ich habe in Cambridge Naturwissenschaften studiert und mich auf Physik spezialisiert. Aber beim Abitur habe ich in Geschichte recht gut abgeschnitten. Und es war mir nicht ganz unwichtig, mehr über die Geschichte dieses Ortes herauszufinden, nachdem Ihre Recherchen mich hierhergeführt hatten.«
    So eine Art Hobby . Nicht ganz unwichtig . Nach so langer Zeit in Großbritannien war Mary daran gewöhnt, die umständliche Redeweise von Oberschichttypen wie diesem Captain Mackie zu dekodieren: je selbstironischer die Worte, desto tiefer die Leidenschaft. »Es schmeichelt mir, dass Sie mich so ernst
genommen haben. Hier eine neue Zweigstelle des militärischen Nachrichtendienstes zu eröffnen, und das nur auf meine Behauptungen hin.«
    »Nun, dies scheint doch ein Schlüsselort für Ihre anachronistischen Verschwörungstheorien zu sein, oder? Und es war nicht übermäßig schwer, die Gelder zu bekommen, zumindest nicht für die nachrichtendienstliche Arbeit. Allein schon, weil es einen umfassenden Rückzug aus dem Südosten gegeben hat, wie Sie sich vorstellen können. Standorte wie Bletchley Park sind auf einmal erheblich gefährdeter.«
    »Bletchley Park? Wo ist das? Was macht man dort?«
    »Ach, Sie wissen schon, Kriegsarbeit, das Übliche. Ich war dort selbst eine Weile tätig. Und was das Projekt betrifft, an dem wir hier arbeiten, so scheint die Gefahr, auf die Sie hingewiesen haben, zwar ziemlich bizarr zu sein, aber das Land wird ja geradezu überschwemmt von Gerüchten über Hitlers Superwaffen. Ob Sie’s glauben oder nicht, eine Zeitmaschine der Nazis steht nicht mal an der Tabellenspitze der Absonderlichkeiten. Die Regierung muss zeigen – und sei es auch nur um der Moral willen –, dass sie alles tut, um diese Gefahren zu untersuchen und ihnen, wenn nötig, einen Riegel vorzuschieben. Und Ihr Name hat dank Ihres Artikels über Peter’s Well einen gewissen Klang bei der Regierung, Mrs. Wooler. Tatsächlich genieße ich Unterstützung aus höchsten Kreisen. Ich stehe in Verbindung mit Frederick Lindemann, Churchills persönlichem wissenschaftlichem Berater. Winston nennt ihn ›Prof‹.

    Trotzdem muss ich um Gelder kämpfen. Selbst jetzt, wo sich eine gewisse Lösung abzeichnet, fehlt es mir an so gut wie allem, was belastbaren Beweisen ähnelt, die ich meinen Vorgesetzten vorlegen könnte. Einer der Gründe, weshalb ich heute mit

Weitere Kostenlose Bücher