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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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dass Menschen mit nordischen Eigenschaften selbst unter Gefangenen und anderem Gesindel an die Spitze gelangen … Jetzt sagt er was anderes. Verstehe ich nicht ganz. Irgendwas mit einem Webstuhl? Einem Wandteppich? Dieser Standartenführer – Trojan? – sagt, er habe endlich die noch fehlende Komponente aufgespürt, und die Waffe, mit der die arische Vorherrschaft für alle Zukunft und die gesamte Vergangenheit zementiert würde, stehe kurz vor der Vollendung … Das klingt selbst für Nazis reichlich nach Mumpitz. Aber schau dir Himmlers Schweinsäuglein an, wie sie hinter diesen Brillengläsern glänzen. Was für ein Quatsch das auch sein mag, er findet es toll.«
    »Was für eine Komponente?«
    »Er, denke ich«, sagte Willis.
    Zwei muskulöse SS-Leute schleiften Ben Kamen nach vorn. Zitternd kam er vor dem lachenden Himmler zum Stehen.

X
    14. Oktober
    Mary erwachte von der Musik aus dem Promi. Der Nazi-Propagandasender erwies sich als heimlicher Schlager, selbst im freien England. Der Sprecher sagte, heute sei Hastings-Tag, ein weiterer der zahllosen Gedenktage der Nazis – und ein weiterer freier Tag für die glücklichen Bewohner des Protektorats. Während sie im Bett lag, fragte sich Mary, ob Gary auch Promi hören durfte.
    Widerwillig stand sie auf, um einen weiteren Tag ohne ihren Sohn zu beginnen. Aber sie hegte die schwache Hoffnung, dass dieser Tag sie ihm ein kleines bisschen näher bringen würde.
    Ihre von Tom Mackie organisierte Reise nach Birdoswald an diesem Oktoberdienstag würde hoffentlich halbwegs zivilisiert verlaufen. Eine WAAF-Fahrerin holte sie von ihrer Unterkunft in Colchester ab und fuhr sie nach Cambridge, wo sie die größte Fernbahnlinie an der Ostküste bis nach Newcastle nehmen würde. Und von dort aus würde es dann wieder mit dem Wagen an der Linie des Hadrianswalls entlang nach Birdoswald weitergehen, wo Mackie sein Büro hatte.

    Die Fahrt mit dem Wagen war an sich schon ungewöhnlich. Man fuhr derzeit kaum irgendwohin, weil es so wenig Benzin gab. In Colchester kamen sie an Lastwagen und ein paar voll besetzten Bussen vorbei, aber draußen auf dem Land sahen sie nur noch wenige Fahrzeuge. Es gab jedoch jede Menge Straßensperren – Schranken, Stacheldraht und MG-Unterstände –, die mit nervös wirkenden Home-Guard-Typen bemannt waren. Nach etwa fünfzehn Kilometern musste die WAAF-Frau halten, um ihren Ausweis vorzuzeigen. Sie nahm es mit Humor. »Mehr Home-Guard-Leute als Autos auf der Straße heutzutage!«, sagte sie fröhlich zu Mary. Sie war eins dieser patenten, sehr englischen Privatschulmädchen.
    Und als sie weiterfuhren, zog kreischend eine Staffel von Flugzeugen, vielleicht Hurricanes, im Tiefflug Richtung Süden über sie hinweg.
    Mary verspürte ein seltsames Widerstreben, Colchester zu verlassen, und sei es auch nur für ein paar Tage. Es war nicht gerade angenehm dort; das war es nirgends in England, glaubte sie. Aber sie konnte dort ihre Recherchen weiterführen, und sie hatte ihre Pflichten im WVS, obwohl diese jetzt, wo die Bombenangriffe nachgelassen hatten, nicht mehr so anstrengend waren. Und da Colchester nur rund achtzig Kilometer von Gravesend entfernt lag, war sie nah an der Winston-Linie, der schrecklichen Grenze, die das Land in zwei Teile zerschnitten hatte, und darum ungefähr so nah bei Gary, wie es nur irgend ging.
    Doch sie hatte Captain Mackie vom MI-14 schon
fast ein ganzes Jahr lang mit Bitten um ein Interview zum Thema »Ben Kamen und seine historischen Rätsel« in den Ohren gelegen. Sie war auf Mackie gestoßen, als dieser ihr nach der Invasion einen Brief geschrieben und ihr sein Mitgefühl wegen Gary ausgesprochen hatte, den er in jenen letzten Stunden vor dem Waffenstillstand kennengelernt hatte. Ihr war der Gedanke gekommen, ihm ebenfalls zu schreiben, denn Mackies MI-14 schien eine Organisation zu sein, in der man die von ihr entdeckten Rätsel vielleicht ernst nehmen und über geeignete Maßnahmen nachdenken würde. Nun konnte sie sich kaum sträuben, Mackies Einladung anzunehmen, selbst wenn es bedeutete, dass sie zum anderen Ende des Landes reisen musste.
    Sie war jedoch nervös, weil aus Mackies Schreiben eine gewisse Dringlichkeit sprach. Etwas hatte sich geändert, und wohl kaum zum Besseren.
    Der Bahnhof in Cambridge war voller Menschen. Nachdem man King’s Cross in London aufgegeben oder wie die anderen Fernbahnhöfe der Hauptstadt angeblich sogar in die Luft gesprengt hatte, war dies nun die Endstation der

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