Diktator
Ihnen sprechen wollte.«
»Was für eine ›Lösung‹?«
»Das werden Sie schon noch erfahren.« Er streckte den Arm aus und geleitete sie ins Haus. »Aber erst einmal möchte ich Ihnen einen Kaffee anbieten, Mrs. Wooler – wie es sich trifft, eine großzügige Spende Ihrer eigenen Regierung…«
»Wenn Sie mir Kaffee kochen, können Sie mich Mary nennen.«
Er lächelte. »Und ich bin Tom.«
Mackie hatte sein Büro in der Küche des Bauernhauses eingerichtet; dies sei bei weitem der beste Raum im Gebäude, erklärte er, und der wärmste im Winter. Das faszinierendste Element war ein Speer aus geschwärztem Holz und stark verrostetem Eisen, der an der Wand über dem Kamin hing. Mary war keine Expertin für diese Periode, aber für sie sah er römisch aus.
Sie setzten sich an einen großen, abgenutzten Holztisch, über dem Generationen gemeinsam Brot gebrochen haben mussten, und sprachen über die Geheimnisse von Raum und Zeit.
Er verschränkte die Arme. »Fangen wir mit dem Anfang an. Ihr Interesse an all diesen Dingen beruht auf Ihrem Kontakt zu diesem Österreicher, Benjamin Kamen.«
»Das war zum Zeitpunkt der Invasion.«
»Ja. Er ist während dieser ereignisreichen Tage in Gefangenschaft geraten. Wir glauben, dass er zunächst in ein Kriegsgefangenenlager in Kent gebracht wurde. Ein Ort in der Nähe von Richborough, an der Küste.«
»Dort ist mein Gary«, warf sie hastig ein.
»Ja, das wissen wir«, sagte er nicht unfreundlich. »Ist womöglich kein Zufall; viele der ›wertvolleren‹ Gefangenen der Deutschen scheinen dort festgehalten zu werden – und dazu gehört auch Gary, ein amerikanischer Bürger. Uns liegen sogar Informationen vor, dass er Ben beschützt hat – ihm geholfen hat, seine ethnische Zugehörigkeit zu verbergen.«
Geholfen? , dachte Mary. Wieso die Vergangenheitsform? Hatte sich etwas geändert? Für Ben oder für Gary?
»Nun, Ihre Begegnung mit Kamen hat Sie dazu veranlasst, historische Nachforschungen anzustellen. Aber nachdem Sie mich informiert hatten, habe ich die Laufbahn des Burschen aus einem anderen Blickwinkel verfolgt. Vor dem Krieg war er tatsächlich ein viel versprechender junger Physiker … Also, erst berichte ich Ihnen über diese Dinge, dann können Sie mir von der Geschichte erzählen.« Er grinste sie an. »Wissen Sie, ich glaube, das wird mir Spaß machen. Ist alles eher ein lustiges Spiel, nicht wahr?«
Sie musterte ihn. »Mein Sohn sitzt in einem Kriegsgefangenenlager, und ich habe ihn seit einem Jahr nicht gesehen. Meine Schwiegertochter ist von einem Mordkommando der SS umgebracht worden. Ich bin
diesen verrückten Sachen nachgegangen, um etwas zu tun zu haben, und das gilt auch für meine Tätigkeit beim WVS und meine journalistische Arbeit. Besser, als untätig herumzuhocken, während die Bomben fallen. Aber ein Spiel ist das nicht.«
»Tut mir leid. Nein. Völlig richtig. Es ist nur, wissen Sie …« Er seufzte. »Halt die Klappe, Tom. Also – Ben Kamen. Vor neun oder zehn Jahren hat er in Wien bei einem Mann namens Kurt Gödel studiert. Von dem haben Sie wahrscheinlich noch nichts gehört.«
»Nur im Zusammenhang mit Ben«, sagte Mary.
»Irgendwann ist Kamen dann nach Princeton gegangen, ans Institute of Advanced Studies, wo er seinen alten Mentor Gödel wiedergetroffen hat. Der zu dieser Zeit mit Einstein persönlich zusammenarbeitete.« Mackie zog eine Pfeife aus seiner Brusttasche, holte einen Tabakbeutel aus einer Tischschublade und begann, den Pfeifenkopf sorgfältig zu füllen, Faden um Faden. »Wirklich ein bemerkenswerter Bursche. Gödel, meine ich. Einer der besten Mathematiker seiner Generation. Und Kamen muss ziemlich aufgeweckt gewesen sein, wenn er mit ihm Schritt halten konnte. Er war sehr jung. Nun, Einsteins Theorien sind physikalisch. Sie drehen sich um das Wesen von Raum und Zeit, um die Struktur des Universums und solch schöne Dinge. Aber sie sind in mathematischer Sprache abgefasst, und Mathematik ist Gödels besondere Stärke. Er ist ein Meister des Zweifels, könnte man sagen. Er befasst sich mit formalen Systemen, das heißt mit mathematischen Theorien, und tüftelt daran herum, bis er Inkonsistenzen
findet. Sein berühmtestes Ergebnis ist der Beweis, dass es selbst in der einfachen Arithmetik – Sie wissen schon, schlichtes Addieren und Subtrahieren – immer Aussagen gibt, die man weder beweisen noch widerlegen kann. Und darum kann die Arithmetik – und implizit die ganze Mathematik – nie vollständig
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